Über die Offenheit, Strukturen zu überdenken

8. März 2013

Wir wollten von Wissenschaftlerinnen und Verantwortlichen innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft wissen: Wie schätzen Sie die momentane Situation für Frauen in der Forschung ein? Welche Maßnahmen wären wichtig, um den Frauenanteil in führenden Positionen zu erhöhen? Wo gehen Ihnen die Maßnahmen nicht weit genug? Wir erhielten dazu differenzierte – teilweise sehr persönliche - Einschätzungen. Diese sollen nachdenklich stimmen und zur weiteren Diskussion anregen.


Christiane Nüsslein-Volhard,

Medizin-Nobelpreisträgerin, Direktorin am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, Tübingen

Die Situation von Frauen in der Forschung war noch nie so gut wie jetzt, aber man könnte unter Umständen mehr permanente Forschungsgruppenleiterpositionen schaffen, die für Frauen attraktiver sind. Immerhin will nicht jeder gleich eine Riesenabteilung leiten. Forschung immer auf ein Frauen- oder Männerthema zu reduzieren, finde ich allerdings nicht besonders gut. Letztlich ist es egal, ob man Mann oder Frau ist, denn es kommt einfach darauf an, gute Forschung zu machen. Dabei habe auch ich als junge Forscherin am Anfang immer ein bisschen weniger Ausstattung bekommen als männliche Kollegen und bin in den ersten Phasen meiner Karriere immer ein wenig schlechter weggekommen. Es ist einfach sehr hinderlich, wenn man von einer Frau von vornherein gar nicht erwartet, dass sie eine Aufgabe erfüllen kann. Da ich selbst gern bestimme, was ich forsche und mich nicht gern dirigieren lasse, habe ich in meiner Karriere sehr früh Selbstständigkeit angestrebt und darauf geachtet, keinen Chef mehr zu haben.


Ulla Weber,

Zentrale Gleichstellungsbeauftragte der Max-Planck-Gesellschaft, München

Um den Frauenanteil auf den wissenschaftlichen Leitungspositionen in der Max-Planck-Gesellschaft nachhaltig zu steigern, können wir uns nicht auf unserem – zweifelsohne sehr guten - Portfolio an Maßnahmen in den Bereichen „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ und „Karriereförderung von Wissenschaftlerinnen“ ausruhen.

Zusätzlich zu individuellen Unterstützungsmaßnahmen brauchen wir einen umfassenden, systemischen Ansatz, der unsere ganze Einrichtung in den Blick nimmt. Im Fokus stehen nicht nur Einzelne – die Wissenschaftlerinnen – die nicht in das System passen. Wir beleuchten auch die Rahmenbedingungen, in die sie nicht passen: die Kultur unserer Forschungsgesellschaft.

Nur wenn wir auch zu Veränderungen unserer Wissenschaftskultur im Sinne von mehr Gleichstellungskompetenz und Gendersensibilität bereit sind, werden wir die Geschlechterverteilung auf allen wissenschaftlichen Karrierestufen anhaltend ausgleichen können.

Die Offenheit, Verhalten und Strukturen zu überdenken und gegebenenfalls neu zu gestalten, ist im Übrigen nicht „nur“ ein Kriterium bei der Gewinnung des weiblichen wissenschaftlichen Potentials. Ein Wissenschaftsbetrieb, der sich an die kulturellen und institutionellen Bedürfnisse und Vorstellungen seiner Mitglieder anpasst, ist die Grundlage für die Gewinnung der besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.


Petra Schwille,

Direktorin am Max-Planck-Institut für Biochemie, Martinsried

Frauen haben momentan von der Arbeitgeberseite aus, den Forschungsinstitutionen, sehr günstige Bedingungen. Wenn die Karriere an etwas scheitert, dann sind es meistens nicht die Arbeitgeber, sondern das private Umfeld wie der Partner, die Familie oder die Kommune (in Form von Betreuungsplätzen), die die Frauen nicht genügend unterstützen. Und: Es hat immer noch kein wirklich durchgängiger Bewusstseinswechsel der jungen Frauen stattgefunden, was man dem Partner bezüglich Familiengründung zumuten darf und sollte. Eine gerechte Aufteilung (idealerweise 50:50) der Haushalts- und Kinderbetreuungslasten sollte selbstverständlich sein.

Innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft gibt es nur insofern eine Sonderstellung, dass die Leitungspositionen noch rarer und begehrter sind als an den Universitäten. Entsprechend ist der Wettbewerb härter, was wiederum Frauen noch stärker abschreckt. Dies macht noch größere Anstrengungen notwendig, um geeignete Kandidatinnen zu finden. 

Besonderes Augenmerk sollte hier auf das Rekrutierung und das Mentoring von Nachwuchsgruppenleiterinnen gelegt werden, denn sie bilden unter anderem den letztlich immer noch viel zu geringen Pool für Direktorinnen. Die Max-Planck-Gesellschaft sollte sich deshalb verstärkt proaktiv um Nachwuchsgruppenleiterinnen und deren Fortkommen bemühen. Dies ist die empfindlichste Karrierestufe für Frauen; sie spielt eine Schlüsselrolle für alle weiteren Planungen.


Michaela Hau,

Forschungsgruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Ornithologie, Radolfzell

Ich habe selbst 13 Jahre lang in den USA gearbeitet und finde, dass es Frauen in Deutschland in wissenschaftlichen Positionen immer noch sehr schwer haben. Ich sehe immer noch einen viel zu geringen Frauenanteil in hohen wissenschaftlichen Positionen (Gruppenleiter, W3 Professuren), was meiner Ansicht nach zum großen Teil daran liegt, dass man Frauen anders rekrutieren muss als Männer, dass die Kinderbetreuungssituation immer noch relativ schwierig ist und es zu wenig familienfreundliche Maßnahmen gibt. Zum Beispiel findet man immer noch sehr oft Seminare, die um 17 Uhr starten. Wie soll man das mit Familie vereinbaren? Ebenso gibt es oft Lehrveranstaltungen, die abends durchgeführt werden müssen, sowie Tagungen, die über das Wochenende gehen.

Während meiner Zeit als Assistenzprofessorin an der Princeton University hat die Präsidentin dieser Uni, Shirley Tilghman, keine Frauenquote eingeführt, sondern bestimmt, dass unter den eingehenden Bewerbungen für eine Professur ein bestimmter Anteil des Prozentsatzes der weiblichen Studierenden – in Biologie sind das oft 60 Prozent weibliche Studenten – im Bewerberpool enthalten sein müsse. War dies nicht gewährleistet, wurde die Suche eingestellt. Das hat dazu geführt, dass weibliche Bewerberinnen viel aktiver rekrutiert wurden und damit eine gute Anzahl von Frauen zu Vorstellungsgesprächen eingeladen wurden. Über normale Qualitätsstandards wurden so sehr oft Frauen berufen.


Anke Hübenthal,

Koordination Minerva-FemmeNet,
Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt

Trotz hoher beruflicher Qualifikation und Kompetenz sind Frauen in leitenden Funktionen in der Wissenschaft noch immer deutlich unterrepräsentiert, wie auch die Zahlen der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz und des MPG-Jahresberichts belegen. Dabei strebt eine nicht gerade kleine Anzahl von Nachwuchswissenschaftlerinnen aktiv gehobene Positionen an. Jedoch erfahren die Forscherinnen oft, dass Erfolg nicht nur eine Frage des Fleißes, der Qualifikation oder der Leistung ist. Stolpersteine auf dem Weg können sich als geschlechtsspezifische Vorurteile, Wertungen, überholte Rollenzuschreibungen und wenig durchschaubare Strukturen darstellen, auch fehlen weibliche Vorbilder. Daher sind gezielte Maßnahmen notwendig, die an genau diesen Stellen ansetzen, um Nachwuchswissenschaftlerinnen aktiv zu einer Karriere in der Wissenschaft zu motivieren und zu fördern.


Ira Milosevic,

Nachwuchsgruppenleiterin am European Neuroscience Institute, Göttingen

Meine Karriere in einem männerdominierten Wissenschaftsgebiet wurde nie aufgrund meines Geschlechts behindert, im Gegenteil. Während meiner Zeit als Doktorandin war ich die einzige Frau im Labor und meine männlichen Kollegen waren hilfsbereit und unterstützend. Jedoch waren damals wie heute weibliche Vorbilder in der Max-Planck-Gesellschaft rar. Deswegen ermutige ich Frauen, sich nicht auszuschließen, sondern eine Mentorin zu suchen, die Ratschläge geben kann, wenn sie Probleme haben, ob in der Karriere oder während der gleichzeitigen Organisation der Familie. Als Mutter und Wissenschaftlerin muss man kompromissbereit und gewillt sein, manche Verantwortung weiterzugeben. Darum unterstütze ich das Christiane-Nüsslein-Volhard-Stipendium, denn es ermöglicht jungen Forscherinnen mit Kindern, eine Haushaltskraft oder Kinderbetreuung zu finanzieren. Im Zusammenhang mit der Gleichberechtigung wäre es auch hilfreich, wenn zunehmend mehr langfristige wissenschaftliche Positionen für Frauen und Männer verfügbar wären. Auf diese Art und Weise können Partner mit einer dualen Karriere in der Wissenschaft ihre familiäre Verantwortung besser aufteilen.


Katharina Landfester,

Direktorin am Max-Planck-Institut für Polymerforschung, Mainz

Die Situation ist immer so gut, wie wir Frauen sie uns selbst schaffen. Das gilt auch für die Max-Planck-Gesellschaft: Frauen mit Kindern müssen sich im Moment selber das Umfeld schaffen, um erfolgreich arbeiten zu können. Zielführend wäre es hier, auf die Bedürfnisse von Frauen individueller einzugehen. Dabei geht es in erster Linie darum, dass z. B. Dienstreisen ermöglicht werden, auch wenn die Kinder sehr klein sind und unter Umständen mitgenommen werden müssen. Hilfreich wäre auch ein Service, der eine Backup-Kinderbetreuung ermöglicht.

Die offiziellen Maßnahmen gehen mir dabei alle nicht weit genug. Es bedarf zusätzlich individueller und vor allem unbürokratischer Hilfen.  Es wäre wünschenswert, wenn nicht über jede Kleinigkeit diskutiert werden müsste. Als Direktorinnen bräuchten wir die uneingeschränkte Unterstützung der Leitung.


BA/SB/BAd

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