Mehr Exzellenz für Europa

4. März 2013

Im Wettbewerb um Fördermittel für exzellente Forschung schneiden die osteuropäischen EU-Staaten schlecht ab. Es ist ein Gebot der Stunde, die Mitgliedsländer aus Süd- und Osteuropa stärker mit ins Boot zu holen. Nicht zuletzt weil der Aufbau wissenschaftlicher Exzellenz auch ihrer Wirtschaftskraft zugute käme.

Seit 2007 vergibt der European Research Council (ERC) jährlich gut eine Milliarde Euro an herausragende Forscher in Europa. Gefördert werden Köpfe und nicht Projekte; nationale Interessen oder politische Strategien spielen bei der Vergabe keine Rolle. Um dieses klare Bekenntnis zur Exzellenzförderung wurde lange gerungen. Das Ergebnis der fünften Vergaberunde ist ein Spiegel der Forschungsleistungen in Europa – und zeigt, dass Europa nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht gespalten ist. Wollte man eine „Bestenliste“ nach nun fünf Vergaberunden anlegen, so sind Großbritannien, Deutschland und Frankreich im Wettbewerb um ERC Grants am erfolgreichsten. Lediglich 55 von insgesamt 2538 ERC-Grants gingen 2012 an die EU-Mitgliedstaaten in Osteuropa (EU-12). Das entspricht 2,17 Prozent.

Diese magere Erfolgsquote spiegelt auch die ungleichen Aufwendungen für die Forschung wider: Gerade mal ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder sogar weniger investieren die süd- und osteuropäischen Länder in Forschung und Entwicklung. Dabei hatte sich die Europäische Union zu Beginn des Jahrtausends mit der Lissabon-Strategie ein ehrgeiziges Ziel gesteckt: Innerhalb von zehn Jahren wollte man zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt zu werden. Drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts sollten in jedem Mitgliedsland in Forschung und Entwicklung fließen, den F&E-Anteil der Industrie eingeschlossen. Spitzenleute können sich aussuchen, wo sie forschen wollen – und sie gehen dorthin, wo sie optimale Bedingungen für ihre Arbeit finden. Das ist in Süd- und Osteuropa derzeit nicht der Fall, die Abwanderung von Talenten eines der größten Probleme.

Die Max-Planck-Gesellschaft etwa fördert talentierte Nachwuchswissenschaftler im Anschluss an einen Forschungsaufenthalt an einem Max-Planck-Institut mit dem Aufbau einer Partnergruppe in ihrem Herkunftsland. Aber in Süd-und Osteuropa fehlt es an leistungsfähigen und angemessen ausgestatteten Laboren. Lediglich eine einzige Partnergruppe haben wir jeweils in Polen und Rumänien – dafür aber 35 Partnergruppen in den aufstrebenden asiatischen Schwellenländern China und Indien. Hier wird auch der Pool an Talenten in den kommenden Jahren rasant anwachsen: In ihrem aktuellen Bericht „Education Indicators in Focus“ prognostiziert die OECD, dass 40 Prozent aller Hochschulabsolventen 2020 allein aus diesen beiden Ländern kommen werden. Solche globalen Entwicklungen können wir nicht ignorieren.

Um dem europäischen Nachwuchs eine Perspektive in seinen Heimatregionen zu eröffnen und Talente aus der ganzen Welt anzuziehen, muss Exzellenz überall in Europa vorangebracht werden. Wir müssen die Mitgliedsländer aus Süd- und Osteuropa stärker mit ins Boot holen. Nicht zuletzt weil der Aufbau wissenschaftlicher Exzellenz auch ihrer Wirtschaftskraft zugutekäme. Tatsächlich resultieren 80 Prozent des Wirtschaftswachstums in den Industrieländern aus der Entwicklung neuer Technologien, wie der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Solow in seiner Schrift Contribution to the Theory of economic Growth feststellt. Und aus der Forschung kommen nun einmal entscheidende Ideen für neue Technologien. Die wirtschaftliche Schwäche der süd- und osteuropäischen Länder ist deshalb vor allem auch eine Innovationsschwäche und macht verstärkte Investitionen in Forschung dringend notwendig.

In diesem Jahr beläuft sich der Haushalt der Europäischen Union auf 147 Milliarden Euro. Die größten Kosten entstehen der EU über die Kohäsions- und die Gemeinsame Agrarpolitik. Viele Experten halten die europäische Agrarpolitik für ein kostspieliges Phänomen, mit dem wir wenig bewegen – eine ausufernde Politik, die mittlerweile 40 Prozent des EU-Haushalts auffrisst. Und ungefähr dasselbe lässt sich über die sogenannte Kohäsionspolitik sagen. Trotz dieses hohen Mitteleinsatzes bleiben die großen Unterschiede in der Wirtschaftskraft der einzelnen europäischen Regionen bestehen. Nach jahrzehntelanger Förderung dieser Art sollten wir uns fragen, wie wir diese Mittel wirkungsvoller einsetzen.

Die deutsche Wiedervereinigung liefert hierfür ein anschauliches Beispiel: 20 Jahre nach der Wende gibt es zwar nach wie vor ein Einkommensgefälle zwischen west- und ostdeutschen Bundesländern, trotzdem kann man gar nicht oft genug betonen, dass sich das Bruttoinlandsprodukt pro Bürger in Ostdeutschland seit 1991 mit beträchtlicher Wachstumsdynamik mehr als verdoppelt hat. Und unbestritten sind Forschung und Innovation die entscheidenden  Faktoren für die Entwicklung der ostdeutschen Wirtschaft. Kleine und mittlere Unternehmen forschen hier sogar mehr als Firmen gleicher Größe in Westdeutschland, und sie vernetzen sich stärker. Zusammen mit den Universitäten und Fachhochschulen sowie den außeruniversitären Forschungseinrichtungen – darunter allein 20 Max-Planck-Institute – tragen sie zum Aufbau wissensintensiver Cluster bei. Wie etwa in Dresden, wo die Universität jüngst im Rahmen der Exzellenzinitiative zur Elite-Uni gekürt wurde.

Ein entscheidendes Erfolgskriterium war das DRESDENconcept, bei dem es um die Vernetzung der Universität mit den vor Ort ansässigen außeruniversitären Forschungseinrichtungen geht und das neben der Zusammenarbeit in der Lehre auch Abstimmung der Forschungsansätze und -methoden, gemeinsame Nutzung kostenintensiver Geräteparks und Austausch von Ergebnissen umfasst. Allerdings war der Aufbau Ost in vielerlei Hinsicht ein Neubeginn. Vertreter der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vereinbarten 1990 den „Aufbau einer einheitlichen Forschungslandschaft“. Das durch Wissenschaftsfreiheit und Arbeitsteilung zwischen universitären und außeruniversitären Einrichtungen geprägte westdeutsche Forschungssystem sollte in quantitativer, aber auch qualitativer Hinsicht auf Gesamtdeutschland übertragen werden.

Die süd- und osteuropäischen Forschungssysteme müssen sich hingegen aus sich selbst heraus erneuern, was keine leichte Aufgabe ist. Das hat man auch in Brüssel erkannt. Im Rahmen von „Horizon 2020“ will die Europäische Kommission 80 Milliarden Euro für die Forschungsförderung im Zeitraum von 2014 bis 2020 bereitstellen. „Exzellente Wissenschaft“ heißt einer der drei Förderschwerpunkte. In diesem Zusammenhang hat die Max-Planck-Gesellschaft eine Idee von Bundesforschungsministerin Annette Schavan und dem EU-Abgeordneten Herbert Reul aufgegriffen und schlägt ein neues Förderinstrument vor: „Teaming Excellence“. Das Konzept sieht vor, dass sich europäische Regionen mit weltweit führenden Forschungsinstitutionen zusammenschließen mit dem Ziel, exzellente wissenschaftliche Einrichtungen zu entwickeln, an deren Standard sich dann auch die landesspezifischen Forschungsstrukturen orientieren. Über den EU-Strukturmittelfonds könnte vor allem die nötige Infrastruktur finanziert werden. Das Teaming-Konzept wäre ein Weg, wie sich das grundlegende Prinzip der Exzellenz als entscheidendem Förderkriterium mit dem berechtigten Anliegen der Stärkung des europäischen Forschungsraums in Einklang bringen ließe.

Derzeit bilden sich neue attraktive und leistungsfähige Zentren wissenschaftlicher Exzellenz und Wertschöpfung heraus. Diese liegen in den aufstrebenden Wirtschaftsregionen Asiens und Südamerikas. Um mehr Exzellenz zu erreichen, hat Indien seinen Universitäten jüngst verordnet, nur noch internationale Kooperationspartner zu wählen, die unter den Top-500-Universitäten im Shanghai-Ranking sind. Das zukünftige Harvard oder Oxford könnte schon in einigen Jahrzehnten in Shanghai oder Bangalore sein. Wenn Europa nicht den Anschluss verlieren will, dann müssen wir die Wirtschaftsförderung in eine Innovationsförderung überführen und die entsprechenden Strukturen dafür schaffen.

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