Die Kinderstube der Nanopartikel

Ein neues Modell ermöglicht Vorhersagen, wie Nanopartikel entstehen und gibt Hinweise, wie sich der Prozess steuern lässt

8. Februar 2013

Nanopartikel sind vielseitige Hoffnungsträger: Sie sollen als Vehikel für medizinische Wirkstoffe oder Kontrastmittel ebenso dienen wie als elektronische Speicherpunkte oder Verstärkung in Stützmaterialien. Um sie für die verschiedenen Anwendungen gezielt in Form zu bringen, leisten Forscher des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam-Golm und der Universität im niederländischen Eindhoven nun einen grundlegenden Beitrag. Sie haben in einer Studie an Magnetit-Nanopartikeln ein Modell entwickelt, wie sich abhängig von den physikalischen Eigenschaften kristalline Teilchen eines Materials bilden. Nanopartikel aus Magnetit nutzen manche Bakterien, um sich im Magnetfeld der Erde zu orientieren, sie finden aber auch als Speichermaterial oder Kontrastmittel für Kernspin-Untersuchungen Verwendung. Zu verstehen, wie sie wachsen, könnte helfen, Nanopartikel mit gewünschten Eigenschaften gezielt zu züchten.

In mancher Hinsicht ähnelt Materialdesign der Kindererziehung: Viele Eigenschaften sind von Natur aus gegeben, andere werden durch die Bildung erworben – und das entscheidende passiert dabei ganz am Anfang. In die Kinderstube von Magnetit-Nanopartikeln hat nun ein Team um Damien Faivre, Leiter einer Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, geblickt.

Magnetit-Partikel, die sich zu feinen Nadeln anordnen, dienen manchen Meeresbakterien als Kompass, wenn sie sich auf der Suche nach dem Meeresgrund am Magnetfeld der Erde orientieren. Synthetische Magnetit-Teilchen werden aber auch als Speichereinheiten magnetischer Datenträger, in Tinten, magnetischen Flüssigkeiten oder medizinischen Kontrastmitteln eingesetzt. Anhand ihrer Beobachtungen an den Magnetit-Nanoteilchen haben die Potsdamer Forscher nun die etablierte Theorie erweitert, wie aus einer Lösung Kristalle eines Materials entstehen.

Das klassische Modell erklärt die Entstehung vieler Nanopartikel nicht

In der übersättigten Lösung eines Materials ballen sich zunächst spontan, das heißt mehr oder weniger zufällig, einige Atome und Moleküle zu einem Keim zusammen, der dann weiter wächst. Der klassischen Vorstellung des Kristallwachstums zufolge fängt der Keim gelöste Atome oder Moleküle ein. Dabei kann entweder unmittelbar ein perfekt geordneter Kristall oder erst ein amorphes, also unordentliches Konglomerat entstehen, das sich dann zu einem Kristall umstrukturiert.

Über welchen der beiden Wege sich der Kristall bildet, hängt davon ab, ob die kristalline oder die ungeordnete Struktur eine niedrigere Energie aufweist. Die entscheidenden Eigenschaften sind hierbei die Oberflächenenergien der kristallinen und der ungeordneten Variante sowie die Energiebeträge, die frei werden, wenn sich Atome oder Moleküle zu der einen oder der anderen Form verbinden. Eine hohe Oberflächenenergie treibt den Energieaufwand für das Wachstum einer Variante in die Höhe, ein großer Energiegewinn durch die entstehenden Bindungen senkt ihn.

„In den vergangenen Jahren gab es immer mehr Hinweise, dass zahlreiche Mineralien nicht nach diesem Modell wachsen“, sagt Damien Faivre. „Sie lagern bei ihrer Entstehung offenbar nicht einzelne Atome oder Moleküle, sondern Primärpartikel an, die bis zu wenigen Nanometern groß sind und sich nur vorübergehend bilden.“ Das passiert etwa, wenn Kristalle aus Calciumcarbonat und Calciumphosphat entstehen, die Muschelschalen beziehungsweise Knochen härten. Faivre und sein Team haben nun festgestellt, dass auch Magnetit-Nanopartikel wachsen, indem sie nur zwei Nanometer kleine Primärpartikel aufnehmen. Das beobachteten die Forscher in einem Transmissions-Elektronenmikroskop, das bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt arbeitet und daher besonders feine Strukturen abbildet.

Die Stabilität der Primärpartikel wird zu einem entscheidenden Faktor

„Ob aus den kleinen Nanopartikeln direkt größere Nanokristalle entstehen oder ob sie zunächst auch ein ungeordnetes Teilchen formen, lässt sich anhand des klassischen Modells nicht entscheiden“, sagt Damien Faivre. Doch wer Magnetit- oder Calciumcarbonat-Nanopartikel gezielt züchten will, muss diese Frage beantworten können. Daher entwickelten er und seine Kollegen ein neues Modell, das die Primärpartikel berücksichtigt.

In dem neuen Modell wird die Stabilität der Nanopartikel zu einem wichtigen Faktor. So wichtig, dass er eine Vorhersage des klassischen Modells sogar ins Gegenteil verkehren kann. „Je stabiler die Primärpartikel sind, desto wahrscheinlicher bildet sich direkt eine kristalline Struktur“, erklärt Faivre. „In manchen Fällen, in denen dem klassischen Modell zufolge erst eine ungeordnete Struktur entstehen soll, ergibt unser Modell, dass sich direkt ein Kristall bildet.“ Genau das ist beim Magnetit der Fall.

Im nächsten Schritt stehen Untersuchungen der Primärpartikel an

Ob Kristalle nach dem klassischen oder dem von Damien Faivres Team aufgestellten Modell wachsen, hängt davon ab, ob dabei Atome und Moleküle oder die winzigen Primärpartikel mitmischen. „Das weiß man wie in unserem Fall entweder aus Beobachtungen oder man schätzt es anhand der physikalischen Eigenschaften des Materials ab“, erklärt Faivre.

Von dem Einblick in die Kinderstube der Nanopartikel bis zu einer Anleitung, um ihr Wachstum gezielt zu steuern, müssen die Forscher jedoch noch zahlreiche offene Fragen klären. „Im nächsten Schritt werden wir die Primärpartikel und ihre Eigenschaften genauer untersuchen“, sagt Damien Faivre. Wenn die Forscher nämlich die Stabilität der Teilchen, die sich ein wachsendes Nanoteilchen einverleibt, kontrollieren können, bietet sich ihnen auch eine Möglichkeit, die Eigenschaften des Nanopartikels zu beeinflussen. Auch das ist bei Nanokristallen kaum anders als bei heranwachsenden Kindern: Was aus ihnen wird, hängt auch davon ab, wie sie gefüttert werden.  

PH

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