Der Schweif der Venus

Wenn der Sonnenwind nahezu abreißt, dehnt sich die Ionosphäre unseres Nachbarplaneten weit ins All aus

29. Januar 2013

Die Hülle aus Elektronen und Ionen, welche die Venus in 150 bis 300 Kilometern Höhe umgibt, kann sich in Ausnahmefällen an ihrer sonnenabgewandten Seite schweifartig ins Weltall ausdehnen. Zu dieser seltenen Verformung kommt es, wenn der Sonnenwind – ein Strom aus Elektronen und Protonen – nahezu abbricht. Wissenschaftler unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung haben ein solches Ereignis mit Instrumenten an Bord der europäischen Raumsonde Venus Express erstmals genau untersucht. Die Ergebnisse helfen bei der Beantwortung der Frage, ob im Sonnensystem Teilchen von einem Planeten zu einem anderen wandern können – etwa von der Venus zur benachbarten Erde.

Am 3. und 4. August 2010 hielt die Sonne den Atem an: Nach mehreren heftigen Ausbrüchen kam der Sonnenwind etwa 18 Stunden lang fast zum Erliegen. Die Teilchendichte um Venus sank in dieser Phase auf 0,2 Partikel pro Kubikzentimeter. An gewöhnlichen Tagen sind es etwa 50-mal so viele.

„Phasen mit solch schwachem Sonnenwind kommen selten, aber immer wieder vor“, erklärt Markus Fränz vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Katlenburg-Lindau. „Allerdings war das Ereignis im August 2010 das erste dieser Art seit dem Start der Raumsonde Venus Express vor etwa sieben Jahren.“ Dank der stark elliptischen Umlaufbahn der Sonde um den Planeten bot sich den Forschern die Gelegenheit zu untersuchen, welche Prozesse der schwache Sonnenwind in der Atmosphäre der Venus auslöst.

Wie auch die Erde ist die Venus von einer Ionosphäre – einer Hülle aus Elektronen und Ionen – umgeben. Wissenschaftler bezeichnen dies als Plasma. Es entsteht, wenn extrem kurzwelliges ultraviolettes Licht und Röntgenstrahlung von der Sonne an der Tagseite der Planeten auf die äußersten Schichten der Atmosphäre treffen. Auf der Erde hält das starke Magnetfeld die Teilchen gefangen. Sie rotieren deshalb im Gleichtakt mit der Erde (und ihrem Magnetfeld) um die Erdachse – und erreichen so auch die Nachtseite. Auf diese Weise entsteht eine Hülle aus geladenen Teilchen, welche die Erde vollständig umschließt.

„Auf der Venus ist das völlig anders“, erklärt Yong Wie, Forscher am Lindauer Max-Planck-Institut und Erstautor der neuen Studie. „Unserem Schwesterplaneten fehlt nicht nur das eigene Magnetfeld. Auch die Drehung um die eigene Achse vollzieht sich hier deutlich langsamer“, ergänzt er. Für eine Umdrehung benötigt die Venus etwa 243 Erdentage.

Dennoch lässt sich auch auf der Nachtseite der Venus eine Ionosphäre beobachten. „Messungen älterer Sonde hatten gezeigt, dass Elektronen und Ionen (im Fall der Venus hauptsächlich Sauerstoff-Ionen) von der Tag- zur Nachtseite strömen“, sagt Fränz. Motor dieser Bewegung ist der hohe Plasmadruck an der Tagseite. Ähnlich wie ein komprimiertes Gas, das aus einer Druckflasche befreit wird, strömt das Plasma aus dem Gebiet mit hohem Druck in ein Gebiet mit geringerem Druck.

Mit dem Magnetometer MAG und dem Instrument ASPERA-4 (Analyzer of Space Plasmas and Energetic Atoms) an Bord der Raumsonde Venus Express haben sich die Forscher nun ein genaueres Bild dieser Vorgänge gemacht. Es zeigte sich, dass bei fehlendem Sonnenwind die Ionosphäre der Venus nicht magnetisiert wird. Unter normalen Bedingungen binden diese induzierten Magnetfelder die geladenen Teilchen der Ionosphäre in Planetennähe. Bei schwachem Sonnenwind hingegen dehnt sich die Ionosphäre in der Übergangsregion zwischen Tag- und Nachtseite aus.

„Die geladenen Teilchen können auf diese Weise einfacher und deshalb in größerer Zahl zur Nachtseite gelangen“, erklärt Markus Fränz. Dort bildet sich dann eine Art Plasmaballon, der sich schweifartig ins All erstreckt. Die gesamte Ionosphäre erhält so eine tropfenförmige Gestalt.

Die neuen Messungen belegen, dass der Plasmaschweif etwa 15000 Kilometer weit in den Weltraum ragt. „Er könnte aber auch deutlich länger sein und sich möglicherweise sogar über Millionen von Kilometern erstrecken“, sagt Wei. Die Flugroute während der Messungen führte die Raumsonde jedoch nicht direkt hinter die Venus, sodass sich diese Frage nicht abschließend klären lässt.

Auch ob sich die Ionosphäre der Venus auf diese Weise prinzipiell sogar bis zur Erde ausdehnen könnte, ist unklar. Jedenfalls hatten Max-Planck-Forscher im Jahr 1996 Venusplasma in Erdnähe nachgewiesen. Dafür werteten sie Messdaten der Raumsonde Soho aus, die im Gleichtakt mit der Erde um die Sonne kreist. Möglicherweise bietet der Mechanismus, den die Wissenschaftler nun beschreiben, eine Erklärung für solche Ereignisse. „Vielleicht bieten Phasen extrem schwachen Sonnenwinds planetaren Teilchen die Möglichkeit, von den sonnennahen Planeten zu weiter außen gelegenen zu wandern“, sagt Wei.

BK / HOR

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