Hintergrund

Worin bestanden die Probleme mit den vorangehenden Massemessungen?

Wenn Astronomen die Menge oder Häufigkeit eines bestimmten Stoffes nachweisen wollen, suchen sie nach Licht, das für diesen spezifischen Stoff charakteristisch ist. Für Wasserstoffmoleküle funktioniert dieses Rezept nicht, da diese Moleküle kaum Strahlung aussenden. Frühere Versuche, die Masse der protoplanetaren Scheibe zu bestimmen, verwendeten Indikatorstoffe (Tracer), die typischerweise mit molekularem Wasserstoff zusammen auftreten, um dessen Menge indirekt abzuschätzen: Die Forscher beobachteten das Kohlenmonoxid oder den Staub und verließen sich dann auf Modelle und weitere Messungen, um Rückschlüsse auf die Menge des molekularen Wasserstoffs zu ziehen. Dieses Vorgehen birgt allerdings einige Fallstricke.

  • Abschätzungen der Masse aufgrund der Wärmestrahlung von Staubkörnern in der Scheibe beruhen auf Annahmen über den Grad der Undurchsichtigkeit (Opazität) des Staubs; dieser Wert ändert sich drastisch, während der Staub zu immer größeren Körnern zusammenklumpt. Unsicherheiten über das Verhältnis der Gasmenge zur Staubmenge, die aus Messungen am interstellaren Medium abgeleitet sind, fließen ebenfalls ein.
  • Abschätzungen aufgrund der Anwesenheit von Kohlenmonoxid sind schwierig, da die Scheibe für die betreffende Sorte von Strahlung undurchsichtig ist. Beobachtungen zeigen daher nur die Oberfläche der Scheibe; wie sich diese Werte zum Scheibenvolumen verhalten, muss aus geeigneten Modellen erschlossen werden. Je nach dem verwendeten Modell ergibt sich ein weites Spektrum an Massewerten, wie sie im Haupttext erwähnt sind (zwischen 0,5 und 63 Jupitermassen).

Wie haben die Forscher die Masse bestimmt?

Die neuen Messungen beruhen auf der Tatsache, dass zwar gewöhnliche Wasserstoffmoleküle keine nennenswerte Strahlung aussenden, aber dass Wasserstoffdeuterid – darin ist eines der Wasserstoffatome durch Deuterium ersetzt – im Zusammenhang mit Rotationen des Moleküls eine Million Mal stärker strahlt als normale Wasserstoffmoleküle. Die Intensität dieser Strahlung hängt dabei von der Temperatur des Gases ab; diese wiederum haben die Astronomen mittels ALMA-Beobachtungen erschlossen.

Das Häufigkeitsverhältnis zwischen Deuterium und normalem Wasserstoff scheint in unserer kosmischen Nachbarschaft weitgehend konstant zu sein, wie Beobachtungen an verschiedenen Objekten bis zu Entfernungen von rund 300 Lichtjahren zeigen. Weist man Wasserstoffdeuterid in gegebener Menge nach und rechnet anhand dieses Häufigkeitsverhältnisses um, so erhält man eine gute Abschätzung für die Gesamtmenge an molekularem Wasserstoff.

Sollten sich einige der Deuteriumatome in molekularem Eis oder in komplexeren Molekülen (etwa polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe) verstecken, oder sollten Teile der Scheibe undurchlässig für die charakteristische Strahlung des Wasserstoffdeuterids sein, dann wird man die Menge an molekularem Wasserstoff mit dieser Methode unterschätzen. Das ist ein Grund, warum der jetzt veröffentlichte Massenwert eine Untergrenze darstellt.

Die Temperaturschätzung ist aus Kohlenmonoxid-Spektrallinien abgeleitet und liegt damit aller Wahrscheinlichkeit nach zu niedrig – auf diese Weise erfasst man eben nur die äußeren Scheibenschichten. Im Innern, wo die meiste Strahlung des Wasserstoffdeuterids her stammt, sollte die Temperatur höher sein.

Damit gehen alle möglichen Korrekturen in dieselbe Richtung, nämlich hin zu einer höheren Masse; als Abschätzung einer Untergrenze für die Masse ist der jetzt bestimmte Wert von 52 Jupitermassen daher sehr zuverlässig.

Warum war Herschel für diese Messungen wichtig?

Der niedrigste Rotationsübergang des Wasserstoffdeuterids hat eine Wellenlänge von 112 Mikrometer und liegt damit im ferninfraroten Bereich des Spektrums. Solche Strahlung wird vom Wasserdampf in der Atmosphäre absorbiert und lässt sich deswegen nur aus dem Weltraum oder aus der Stratosphäre heraus beobachten. Damit kommen für die benötigten Messungen nur das Herschel-Teleskop und die fliegende Sternwarte Sofia in Betracht.

Mit Sofia könnten Beobachtungen dieser speziellen Spektrallinie unter besonders günstigen Bedingungen tatsächlich gelingen; allerdings wäre dazu eine sehr lange Beobachtungszeit nötig – die man wohl kaum bewilligt hätte, zumal eines der Modelle vorhersagte, die Strahlung wäre für einen Nachweis zu schwach. Mit Herschel ergab sich aus der Kombination von 36 Beobachtungen mit insgesamt sieben Stunden Belichtungszeit ein eindeutiger Nachweis.

Für die Beobachtungen kam PACS (Photodetector Array Camera & Spectrometer) zum Einsatz: ein Kombinationsinstrument aus astronomischer Kamera und Spektrograf für Wellenlängen zwischen 57 und 210 Mikrometer. Das Instrument wurde von einem Konsortium unter Leitung des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik in Garching entwickelt und gebaut. Wichtige Beiträge kamen vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg.

Wird sich das neue Messverfahren zu einer Standardmethode entwickeln?

Spektrallinien dieser Art sind sehr schwierig nachzuweisen. Bei TW Hydrae gelang eine solche Messung, Wasserstoffdeuterid außerhalb unseres Sonnensystems nachzuweisen, erst zum zweiten Mal. Insofern dürften die neuen Ergebnisse eine Ausnahme bleiben – mit weitreichenden Konsequenzen für unser Verständnis der Planetenentstehung.

HOR / MP

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