Filigrane Heiterkeit

15. Januar 2013

Nach zehn Jahren Bauzeit hat am 15. Januar die Bibliotheca Hertziana in Rom ihren Neubau eröffnet. Mehr als 300 Gäste aus dem deutsch-italienischen Kulturleben, der Politik und Kurie waren zu dem Festakt geladen.

Die Bibliothek steht auf den Gärten des Palazzo Zuccari und der Lukullischen Villa, unweit der Spanischen Treppe in Rom. "Sie reflektiert den menschlichen Umgang mit der Natur und ist ein besonderes Spiel von Schatten und Licht, das für Aufklärung und Wissen steht", schwärmte der spanische Architekt Juan Navarro Baldeweg. Eine besondere Herausforderung bestand für ihn darin, die antiken Reste für die Öffentlichkeit zu erhalten und ein Fenster zur Geschichte zu öffnen.

Zwar ist der Bibliothekstrakt schon im vergangenen Sommer bezogen worden, doch fehlte bislang die Genehmigung der römischen Stadtverwaltung. Mit der Eröffnung, die in Anwesenheit von Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) und MPG-Präsident Peter Gruss begangen wurde, endete eine über zehnjährige Bauphase mit erheblichen Einschränkungen für die wissenschaftliche Arbeit. Denn seit Beginn der Bauarbeiten im Jahr 2002 war das römische Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte nur eingeschränkt geöffnet und ein großer Teil der Bibliothek ausgelagert, auch wenn der Forschungsbetrieb unter den beiden Direktorinnen Sybille Ebert-Schifferer und Elisabeth Kieven aufrechterhalten und sogar erweitert wurde. Für Besucher und Kunsthistoriker wird die Bibliothek wieder ab 1. Februar 2013 geöffnet sein.

Ein weiter Raum voller Licht

Die Geduld hat sich ausgezahlt: Die einzigartigen Bibliotheksbestände der Bibliotheca Hertziana haben einen bemerkenswerten Raum erhalten. Mit großer Sensibilität und mit Feingefühl für die besondere Tradition des Ortes überzeugt die von dem spanischen Architekten Juan Navarro Baldeweg konzipierte neue Bibliothek, die mit ihren rund 300.000 Bänden und einer umfänglichen Fotothek mit über 800.000 Abbildungen das Herzstück der Hertziana bildet. „Sein Konzept nimmt Bezug auf die besondere Geschichte des Ortes, indem es den eins­tigen Garten des Palazzo Zuccari in Gestalt eines Lichthofs wieder öffnet und das berühmte Höllenmaul als Eingang berücksichtigte“, sagte Elisabeth Kieven.

So gruppieren sich die Lesesäle, Arbeitsbereiche und Büchermagazine leichtfüßig als zurückgestufte Galerien auf drei Seiten um den kleinen trapezförmigen Innenhof. Eine dreiseitig in voller Höhe umlaufende Glasfassade, die wie ein gläserner Trichter den offenen Innenhof umgibt, sorgt für ausreichendes römisches Tageslicht. „Baldeweg ist es wunderbar gelungen, die Bibliothek in einen transparenten, lichtdurchfluteten und weiten Raum zu verwandeln und dennoch die Kapazitäten um siebzig Prozent zu steigern“, so Kieven. Und auch das berühmte, aus dem 16. Jahrhundert stammende Maskenportal aus römischem Tuffstein konnte während der Bauzeit in aller Ruhe saniert werden und erstrahlt nun in hellem Weiß statt in dunklen Tönen. Es wird der Eingang zur neuen Bibliothek sein."

MPG-Präsident Peter Gruss bedankte sich bei Annette Schavan und dem Bundesfinanzministerium, die sich für den Bau über Jahre eingesetzt hatten, und bei den beiden Direktorinnen. Besonders hob er auch die Stifter hervor, dank derer der Bau vollendet werden konnte. Die Finanzierung der gesamten Baukosten von rund 23 Millionen Euro erfolgte zu zwei Dritteln aus öffentlichen Mitteln der deutschen Länder und des Bundes sowie zu einem Drittel aus privaten Spenden.

Die Baumaßnahme war dringend nötig geworden, da der in den 1960er-Jahren erbaute erste Bibliothekstrakt zwischen dem Palazzo Zuccari und dem Palazzo Stroganoff aus allen Nähten platzte und aus brandschutztechnischen und statischen Gründen von der Schließung bedroht war. Nur ein Neubau konnte die Sicherheit und das stetige Wachstum der Bibliothek garantieren. Unter Präsident Hans Zacher fand 1995 ein internationaler Architekturwettbewerb statt, bei dem der Entwurf des Madrider Büros Baldeweg am meisten überzeugte. Im denkmalgeschützten Stadtzentrum Roms kam dies einer Herkulesaufgabe gleich, zumal an der historischen Fassade nichts verändert werden durfte und ein gegossenes Fundament wegen wertvoller antiker Relikte im Untergrund nicht möglich war.

Atemberaubendes im Untergrund

Unter diesen Bedingungen kam nur eine kühne wie souveräne Lösung infrage. Ein drei Meter hoher schachtelförmiger Körper aus Stahlbeton – aufgesetzt auf 178 Mikropfählen, die entlang der Außenfassaden bis zu 50 Meter im Boden eingelassen werden mussten – trägt gleich einer mächtigen unterirdischen Brücke mit vorgespannten Seilen das enorme Gewicht des Neubaus. Immer wieder verhinderten Schlamm und Kies die Verankerung der Stahlpfähle, bis es dem römischen Ingenieurbüro TeknoIn gelang, dass sich der Neubau in die Höhe schrauben konnte, während gleichzeitig Archäologen in der Tiefe das Erdreich abtrugen. Die atemberaubende Konstruktion machte die Baustelle zu einem beliebten Ausflugsort für Ingenieure und Architekten aus aller Welt.

Denn wie im antiken Rom kaum anders zu erwarten, waren 2007 eine antike Brunnenanlage und prächtige Mosaike aus dem Erdreich befreit worden. Bereits 1910 waren Archäologen bei Arbeiten am Palazzo Zuccari im Untergrund auf Relikte einer Villa des Lebemanns Lucius Licinius Lucullus gestoßen, der sich um 60 v. Chr. auf dem Südhang des Monte Pincio einen Landschaftsgarten errichten ließ. Dank der besonderen Konstruktion des Neubaus können Besucher der Bibliothek die archäologische Zone durch eine verglaste unterirdische Galerie bewundern.        

Im März wird die Bibliotheca Hertziana ihr 100jähriges Bestehen feiern.  "Die Eröffnung der weltweit besten Bibliothek für Kunstgeschichte ist eine grandiose Ouvertüre für diese Feierlichkeiten", sagte Annette Schavan. 

ARE / BA

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