Kosmische Kinderstuben – und ein Schuss Hollywood

Weltraumteleskop Herschel liefert neue Erkenntnisse über die Geburt ferner Sonnen

29. Oktober 2012

Neue Einblicke in einen Kreißsaal der Sterne hat ein Team unter Leitung des Heidelberger Max-Planck-Instituts für Astronomie gewonnen. Mithilfe des ESA-Weltraumteleskops Herschel und mit Auswertungstechniken, wie man sie bei Hollywood-Filmproduktionen antrifft, haben die Wissenschaftler eine dreidimensionale Karte der Dunkelwolke Barnard 68 erstellt, in der ein Stern niedriger Masse geboren werden könnte. In weiteren Dunkelwolken haben die Astronomen außerdem eine frühe, bisher unbekannte Vorläuferform junger Sterne identifiziert.

Sterne werden geboren, wenn Wolken von Gas und Staub unter ihrer eigenen Schwerkraft kollabieren. Die Wolken liefern allerdings nicht nur das Rohmaterial für die Sternentstehung, sondern verschlucken auch einen Großteil des Lichts, das im Wolkeninnern entsteht. So bekommen die Astronomen die entscheidenden Details der Sterngeburt nicht zu sehen – und müssen sich den einen oder anderen Trick einfallen lassen, um den Schleier zu lüften.

Jetzt haben zwei Gruppen im EPoS-Projekt unter der Leitung des Max-Planck-Astronomen Oliver Krause mit dem Weltraumteleskop Herschel tiefer und genauer als je zuvor in das Innere einiger der Dunkelwolken hineingeblickt – und dabei einiges Neues über kosmische Geburten herausgefunden.

Auf der Suche nach dem Ursprung von Sternen mit niedriger Masse (weniger als dem Doppelten der Masse unserer Sonne) hat sich eine Gruppe um Markus Nielbock, ebenfalls vom Max-Planck-Institut für Astronomie, eine der bestuntersuchten potenziellen Sternkinderstuben vorgenommen: die Dunkelwolke Barnard 68 in der Konstellation Schlangenträger (lat. Ophiuchus).

Die Wissenschaftler nutzten die Fähigkeiten von Herschel, Aufnahmen in nie erreichter Empfindlichkeit und Detailschärfe im Bereich des Ferninfrarotlichts zu machen. Dann wandten die Forscher eine Methode an, die man häufiger als in der Astronomie in Spezialstudios findet, die für Hollywoodfilme computergenerierte Bilder erstellen. So entstand das bisher realistischste 3D-Modell der Dunkelwolke.

Raytracing (wörtlich „Strahlverfolgung“) heißt das Verfahren, das Ralf Launhardt vom Max-Planck-Institut für Astronomie an die Erfordernisse der Wissenschaftler angepasst hat. Dabei wird jeder Lichtstrahl, der uns von Barnard 68 erreicht, per Computer virtuell in die Wolke zurückverfolgt; an jedem Ort, den der Strahl passiert, berücksichtigt das Programm dann, ob Licht ausgesandt, verschluckt oder gestreut wird, und welche Wellenlängen das betreffende Licht hat. Addiert man alle diese Beiträge auf, ergibt sich aus einem dreidimensionalen Wolkenmodell das zweidimensionale Bild, wie es ein Astronom aus der Ferne beobachtet.

Umgekehrt lässt sich die Technik einsetzen, um mittels vereinfachender Zusatzannahmen von dem Licht verschiedener Wellenlängen, das uns von Barnard 68 erreicht, auf ein Modell der dreidimensionalen Struktur der Wolke, ihrer Dichte- und Temperaturverteilung zu schließen.

Die Ergebnisse haben einiges von dem ins Wanken gebracht, was Astronomen über Barnard 68 zu wissen glaubten. Es ergibt sich das Bild einer Wolke, die aus dem Kollaps eines länglichen Filaments entstanden sein dürfte und durch ungleichmäßige Strahlung, die vor allem aus der Scheibenebene unserer Heimatgalaxie stammt, aufgeheizt wird. Die Forscher fanden außerdem Anzeichen für eine weitere kleine Wolke, die mit Barnard 68 kollidiert und deren Existenz in einer früheren Studie vorausgesagt worden war. Die Kollision könnte den Kollaps von Barnard 68 einleiten. Und innerhalb der nächsten Hunderttausende von Jahren könnten darin einer oder mehrere Sterne mit geringer Masse geboren werden.

Verglichen mit anderen Dunkelwolken ist Barnard 68 recht klein. Aus Wolken dieser Größe gehen höchstens einige wenige massearme Sterne hervor. Zur Erforschung der Entstehung massereicher Sterne hat eine weitere EPoS-Gruppe unter der Leitung von Sarah Ragan vom Heidelberger Max-Planck-Institut 45 deutlich massereichere Dunkelwolken beobachtet. Solche Wolken enthalten viele Protosterne – Sternembryos, aus denen sich im Laufe der Zeit neue Sonnen entwickeln.

Protosterne waren bereits das Beobachtungsziel früherer Missionen, etwa des NASA-Weltraumobservatoriums Hubble. Mit der PACS-Kamera des Herschel-Teleskops gelang es den Forschern um Ragan nun, deutlich tiefer ins Wolkeninnere vordringen. So spürten sie die jüngsten und primitivsten derzeit bekannten Protosterne auf.

Durch die neuen Beobachtungen wuchs die Zahl der bekannten Protosterne in den betreffenden Wolken von 330 auf knapp 500 an. Am spannendsten aber ist die Entdeckung eines neuen Typs von Sternenvorläufer: dichtere Regionen mit einer Temperatur von nur 15 Grad über dem absoluten Nullpunkt (entsprechend minus 258 Grad Celsius), in denen sich kein Protostern nachweisen lässt. Dabei dürfte es sich um die frühesten Stadien der Sterngeburt handeln.

Den Modellen zufolge entsteht in solchen Regionen auf der astronomisch gesehen sehr kurzen Zeitskala von weniger als 1000 Jahren ein neuer Protostern. Nähere Untersuchungen dieser Gebiete dürften die Grundlagen für alle weiteren Studien zur Sternentstehung legen.

MP/HOR

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