Lernen braucht rhythmische Aktivität von Nervenzellen

Gedächtnisbildende Signalübertragung im Hippokampus aufgeklärt

18. September 2012

Der Hippokampus ist eine wichtige Gehirnstruktur für das Lernen. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München haben herausgefunden, wie er elektrische Nervenzellsignale über eine Eingangs- und Ausgangskontrolle filtert und so Lern- und Erinnerungsprozesse steuert. Für eine wirkungsvolle Signalweiterleitung benötigt es demnach sogenannte theta-frequente Impulse der Hirnrinde. Diese Impulse mit einer Frequenz von drei bis acht Hertz lösen elektrische Aktivitätswellen durch den Hippokampus aus. Impulse anderer Frequenz rufen keine bzw. eine wesentlich schwächere Übertragung hervor. Für das Lernen notwendige Signalübertragung in andere Hirnareale durch Langzeitpotenzierung (LTP) entsteht wiederum nur, wenn die Aktivitätswellen für eine bestimmte Zeit andauern. Die Wissenschaftler haben sogar eine Erklärung dafür parat, warum wir nach einer Tasse Kaffee oder in einer akuten Stresssituation kurzzeitig geistig leistungsfähiger sind: In ihren Experimenten verstärkten Koffein und das Stresshormon Kortikosteron den Aktivitätsfluss.

Wenn wir etwas lernen und uns an etwas erinnern, müssen wir uns auf die entsprechende Information konzentrieren und sie immer wieder aufnehmen. Warum das so ist, zeigen nun elektrophysiologische Experimente am Tiermodell der Maus. Wissenschaftler der Arbeitsgruppe von Matthias Eder haben dazu die Übertragung elektrischer Impulse zwischen Nervenzellen im Hippokampus des Gehirns von Mäusen gemessen. Unter dem Fluoreszenzmikroskop konnten sie in Echtzeit beobachten, wie die Nervenzellen Signale weiterleiten.

Jens Stepan, Nachwuchswissenschaftler am Münchner Max-Planck-Institut, stimulierte die Eingangsregion zum Hippokampus mit elektrischen Impulsen unterschiedlicher Frequenz. Dabei gelang ihm erstmalig der Nachweis, dass es spezifisch theta-frequente Stimulationen mit einer Frequenz sind, die eine effektive Impulsweiterleitung über die hippocampale CA3/CA1-Region erzeugt. Ein Befund mit besonderer Bedeutung, da aus früheren Studien bekannt ist, dass theta-rhythmische Nervenzellaktivität im entorhinalen Kortex immer dann auftritt, wenn konzentriert neue Informationen aufgenommen werden. Die Forscher zeigen mit diesem Ergebnis, dass der Hippokampus höchst selektiv auf die entorhinalen Signale reagiert. Er ist offensichtlich in der Lage, wichtige, also eventuell erinnerungswürdige, von unwichtiger, also am besten gar nicht erst wahrzunehmender Information zu unterscheiden und physiologisch gezielt zu verarbeiten.

Eine mögliche Reaktion ist die Entstehung der so genannten Langzeitpotenzierung (LTP, long-term potentiation) der Signalübertragung an CA3-CA1 Synapsen, welche für das Lernen und die langfristige Gedächtnisbildung häufig unentbehrlich ist. Die aktuelle Studie dokumentiert, dass dieses CA1-LTP nur dann auftritt, wenn die Aktivitätswellen durch den Hippokampus für eine bestimmte Zeit andauern. Auf unser Lernverhalten übersetzt folgt daraus, um uns z.B. ein Bild einzuprägen, sollten wir es konzentriert für einige Zeit betrachten, denn nur dann produzieren wir für eine ausreichend lange Zeit die beschriebenen Aktivitätswellen und speichern das Bild auch in unserem Gehirn ab.

Matthias Eder und seinen Kollegen gelang es mit dieser Studie eine bisherige Wissenslücke zu schließen. „Die von uns hier untersuchte neuronale Kommunikation über die drei hippocampalen Nervenzellverschaltungen liefert uns ein neues Verständnis vom Lernen im lebenden Organismus. Wir zeigen erstmalig, dass die Langzeitpotenzierung von Frequenz und Dauer eingehender sensorischer Signale in den Hippokampus abhängt“, sagt Matthias Eder.

BM/HR

 

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