Tabak signalisiert angreifenden Zikaden Verteidigungsbereitschaft

Pflanzenschädlinge prüfen ihren Wirt auf Abwehrsignale, bevor sie anfangen zu fressen

23. Mai 2012

Pflanzen bilden wenige Minuten nach Angriff eines Fraßfeindes Jasmonsäure, ein Hormon, das die Verteidigung gegen Insekten in Gange setzt mit der Folge, dass giftige Stoffe wie Nikotin oder Verdauungshemmer in den Blättern akkumulieren. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie, Jena, haben jetzt herausgefunden, dass Zwergzikaden die Verteidigungsbereitschaft von Tabakpflanzen aufspüren können. Funktionieren die auf Jasmonat basierenden Signalketten, lässt das Insekt sofort von der Pflanze ab und testet andere Pflanzen. Ist jedoch das hormonelle Meldesystem in einer Pflanze gestört und damit ihre Bereitschaft zur Abwehr gehemmt, schlagen die Schädlinge zu. Die Zwergzikaden können als „Spürhunde“ eingesetzt werden, um in natürlich gewachsenen Populationen versteckte Pflanzen mit defekten Jasmonat-Signalsystemen aufzufinden und zu erforschen.

Zwergzikaden der Gattung Empoasca sind keine erwiesenen Schädlinge des wilden Tabaks (Nicotiana attenuata). Sobald diese Pflanze an ihren natürlichen Standorten in Nordamerika aufwächst, wird sie hingegen von Nikotin-resistenten Tabakschwärmerraupen (Manduca sexta) befallen. Allerdings war Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie bei Freilandexperimenten mit speziellen transgenen Tabakpflanzen aufgefallen, dass diese im Vergleich zu Wildtyppflanzen einen starken Befall mit Empoasca-Zwergzikaden aufwiesen. In den verwendeten transgenen Tabakpflanzen war ein bestimmtes Gen, lox3, abgeschaltet worden, das für die Bildung von Jasmonsäure essenziell ist. Wegen des Fehlens der Jasmonate konnten diese Pflanzen ihre Verteidigung nicht mehr mobilisieren, denn deren hormonelle Signalkette war unterbrochen − erkennbar am erwarteten und massiven Befall mit Tabakschwärmerraupen. Das Auftreten der Zwergzikaden jedoch war überraschend, sie hatten sich bislang nicht als Tabakschädlinge ausgewiesen. Die Wissenschaftler vermuteten, dass diese in der Landwirtschaft durchaus bekannten Schadinsekten möglicherweise dazu in der Lage sind, in ihren Wirtspflanzen zu überprüfen, inwieweit diese abwehrbereit sind, noch bevor sie ihre Verteidigung aktivieren.

Die Jenaer Forscher haben daher verschiedene Linien transgener Tabakpflanzen erzeugt und zusammen mit nicht veränderten Pflanzen in der Great Basin Desert in Utah, USA, ausgepflanzt. In sechs Linien war die Expression spezifischer Jasmonat-erzeugender Enzyme blockiert bzw. die Erkennung des Jasmonat-Signals unterbrochen und in drei Linien war die Produktion Jasmonat-induzierter Giftstoffe abgeschaltet worden. Das Abschalten der jeweiligen Gene erfolgte durch die inverted repeat Technik.

Da der wilde Tabak nicht zu den bevorzugten Nahrungspflanzen von Empoasca gehört, lockten die Wissenschaftler die Insekten mit ihrer Leibspeise an, der Luzerne (Medicago sativa). Zum Zeitpunkt starken Befalls wurde die Luzerne gemäht, sodass die Zikaden auf das angrenzende Tabakfeld ausweichen mussten. Danach wurden erfasst: die Intensität des Fraßschadens auf den einzelnen transgenen Linien und Vergleichspflanzen, die jeweiligen Jasmonat-Gehalte, die Konzentration und das Auftreten von Abwehrgiften und die Abgabe spezifischer, zur indirekten Verteidigung gegen Schädlinge eingesetzter Duftstoffe. In Experimenten, die im Gewächshaus in Jena stattfanden, wurde der durch Empoasca verursachte Schaden an transgenen Pflanzen ermittelt, deren Jasmonat-Mangel durch Applikation von Jasmonat auf den Blättern wieder hergestellt wurde. „Insgesamt zeigte sich, dass die Zwergzikaden nur diejenigen Pflanzen zur weiteren Nahrungsaufnahme nutzten, in denen die Jasmonat-Signalkette nicht funktionierte. Ob Abwehrstoffe wie beispielsweise Nikotin oder Verdauungshemmer vorhanden waren oder nicht, war vollkommen unerheblich“, so Mario Kallenbach, der die Experimente durchgeführt hat.

Die Zwergzikaden überprüfen demzufolge mit den Mundwerkzeugen, ob eine Pflanze abwehrbereit ist. Oder genauer: Ob das „befallmeldende“, auf Jasmonat basierende Hormonsystem funktioniert bzw. überhaupt vorhanden ist. Ist dies der Fall, verlässt das Insekt die Pflanze und richtet mithin keinen großen Schaden an. Ist das Jasmonat-Signal aber gestört, wird die Pflanze als Nahrung genutzt. Da Jasmonate genauso wie Prostaglandine zur Familie der oxygenierten Fettsäurederivate gehören, ähnelt dieses Verhalten demjenigen von blutsaugenden Stechmücken, die ihre Wirte, bevor sie zuschlagen, ebenfalls auf deren Prostaglandin vermitteltes Abwehrsystem sondieren. Ist dieses defekt, nehmen sie eine Blutmahlzeit. Was genau die Zwergzikaden beim Sondieren erkennen, ist jedoch noch unklar.

Ein starker Empoasca-Befall kann also auf genetische Variationen hinweisen, die die Abwehrbereitschaft einer Pflanze beeinträchtigen. Die Forscher überprüften deshalb zwei Jahre lang rund 700 Tabakpflanzen aus drei natürlichen Populationen auf Empoasca-Befall.  Gefunden wurden insgesamt sechs geschädigte Pflanzen. Nachdem diese mit Mundsekret der Raupenart Manduca sexta behandelt wurden − dieses Verfahren löst die Jasmonat-Signalkette aus − zeigten diese eine deutlich geringere Akkumulation an Jasmonaten als nicht befallene Vergleichspflanzen. Auch die Nachkommen dieser Pflanzen besitzen diese Eigenschaft. „Damit hat Empoasca sehr brauchbare natürliche Mutanten für uns identifiziert, mit denen wir weiterarbeiten werden“, so Ian Baldwin, Leiter der Studie.

Die Wissenschaftler  vermuten, dass sich solche Mutanten ohne funktionierende Jasmonat-Signalkette erhalten haben, da innerartliche Konkurrenz und die Abwehr von Schädlingen beim wilden Tabak im Wettstreit miteinander stehen. Denn die im Boden langlebigen Samen von Nicotiana attenuata keimen nach einem Steppenbrand gleichzeitig und bilden dann dichte Pflanzenpopulationen. Die Pflanzen leben deshalb im ständigen Konflikt zwischen Wachsen oder Abwehren, um ihre knappen Ressourcen optimal einzusetzen.

Die Tabakart Nicotiana attenuata ist eine Modellpflanze, an der Wissenschaftler der Abteilung Molekulare Ökologie forschen. Gelingt es den Wissenschaftlern herauszufinden, wie sich diese durch den Menschen noch unbeeinflusste Wildpflanze an die Lebensbedingungen in ihrer ökologischen Nische angepasst hat, eröffnen sich neue Möglichkeiten, auch die Anpassungsfähigkeit von Nutzpflanzen an ihre Umgebung zu verbessern und umweltverträgliche, landwirtschaftliche Praktiken zu entwickeln. Die hier vorgestellten Experimente zeigen erneut, dass die Verwendung transgener Versuchspflanzen im Freiland für die Gewinnung neuer Erkenntnisse über die Komplexität chemischer und ökologischer Wechselwirkungen von entscheidender Bedeutung ist.

JWK/HR

Zur Redakteursansicht