Tuberkulose - Schach der weißen Pest

21. November 2009

Interview mit Prof. Dr. Stefan H.E. Kaufmann, Direktor am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin, über neue Strategien im Kampf gegen eine weltweite Seuche. Der renommierte Immunologe erklärt, warum die Tuberkulose immer noch nicht besiegt ist und welchen Beitrag die Grundlagenforschung bei der Entwicklung eines neuen Impfstoffs leistet.

Herr Professor Kaufmann, die Tuberkulose ist zurück. Jährlich sterben weltweit zwei Millionen Menschen daran, neun Millionen erkranken neu. Nach der Immunschwäche AIDS landet die Seuche auf Platz zwei der Statistik der tödlichen Infektionskrankheiten. Was macht Tuberkulosebakterien so heimtückisch?

Kaufmann: Für die Heimtücke der Tuberkulose gibt es in erster Linie zwei Gründe: Zum Ersten ist der Erreger eine gefährliche Liaison mit dem AIDS-Erreger HIV eingegangen, zum Zweiten werden immer mehr Stämme des Tuberkulose-Erregers resistent gegen Antibiotika. Im südlichen Afrika ist die HIV-Infektion die treibende Kraft für die Ausbreitung der Tuberkulose und umgekehrt ist die Tuberkulose die Todesursache Nummer Eins unter HIV-Infizierten. Besonders dramatisch ist die Resistenzentwicklung der Tuberkulose-Erreger: 50 Millionen Menschen sind bereits mit einem resistenten, das heißt gegen Antibiotika unempfindlichen Keim infiziert. Und hierbei handelt es sich nicht um eine Resistenz gegen ein Medikament, sondern mindestens gegen zwei. Das bedeutet, dass die besten heute zur Verfügung stehenden Medikamente nicht mehr wirken. Ganz besonders beängstigend ist die Entwicklung von sogenannten extensiv-resistenten Tuberkulosestämmen; das sind Erreger, die letztendlich überhaupt nicht mehr zu bekämpfen sind, weil sie gegen alle verfügbaren Medikamente resistent geworden sind.

Der einzig derzeit existierende Lebendimpfstoff BCG kann Kleinkinder gegen Tuberkulose schützen, bietet aber keinen ausreichenden Schutz gegen die häufigste Form der Tuberkulose bei Erwachsenen, die lebensbedrohliche Lungentuberkulose. Ihnen ist es gelungen, den Impfstoff quasi aufzurüsten. Mit welchen molekularen Tricks haben Sie gearbeitet?

Kaufmann: Bei der Entwicklung eines neuen Impfstoffs gegen Tuberkulose haben wir folgende Überlegung angestellt: Der jetzt verfügbare Impfstoff ist gar nicht so schlecht, denn er schützt gegen die Kleinkindtuberkulose. Er ruft also einen Schutz von kurzer Dauer hervor, der ausreicht, um ein Kleinkind vor Tuberkuloseanfällen zu schützen, aber eben nicht, um eine länger wirkende Immunität zu erreichen. Wir haben uns gefragt, warum dies so ist und was wir tun müssen, um den Impfstoff so zu verändern, dass eine bessere Schutzwirkung erreicht wird. Bei der BCG-Impfung werden die Impfbakterien von besonderen Zellen des Immunsystems, den Fresszellen, aufgenommen und dort in Bläschen eingeschlossen. Es wird also durchaus die Immunantwort stimuliert, allerdings wird nur ein "Arm" des Immunsystems aktiviert. Für den anderen, weitaus umfassenderen Teil des Immunsystems bleiben die Impfbakterien unsichtbar, diese Immunzellen werden nicht aktiviert. Wir haben nun in den Impfstamm ein Gen integriert, das es den Bakterien ermöglicht, sich aus den Bläschen zu befreien. Dabei werden Bestandteile des Impfstoffs dem Immunsystem regelrecht präsentiert und es wird eine umfassende Immunantwort ausgelöst. Damit haben wir beides: Die Immunantwort, die von den Fresszellen ausgeht und die Immunantwort, die von den anderen Zellen des Immunsystems ausgeht. Das Immunsystem wird optimal stimuliert.

Der Kampf im Forschungslabor gegen eine der ältesten Plagen der Menschheit ist Thema eines Films, der auch im Wissenschaftszug Expedition Zukunft läuft. Er zeigt, dass die Krankheit vor allem unter HIV-Infizierten in Afrika und den neuen Ländern der ehemaligen Sowjetunion grassiert. Sind wir in Westeuropa weniger bedroht?

Kaufmann: Es ist richtig, dass in den Entwicklungsländern, in Afrika, aber auch in Indien und in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion die Tuberkulose am meisten grassiert. Doch Keime scheren sich nicht um Passkontrollen und der Tuberkulose-Erreger kann natürlich durch die Mobilität des Menschen auch über Grenzen hinweg eingeschleppt werden. Eigentlich leben wir heute alle in einem "globalen Dorf" und sind gegen eine Ansteckung auch in Deutschland nicht gefeit. In Deutschland nimmt die Anzahl der Tuberkulose-Erkrankungen ab, sie ist jedoch nicht bei Null und durch die zunehmende Mobilität kommt es immer wieder auch zu Tuberkulose-Ausbrüchen in Europa und auch in Deutschland.

Ein neuer wirksamer Impfstoff ist also dringend nötig. Die von Ihnen mitentwickelte Vakzin durchläuft jetzt erste klinische Studien. Wann rechnen Sie denn mit einer Markteinführung?

Kaufmann: Im Augenblick befinden wir uns in der ersten Phase der klinischen Studie zur Erprobung des Impfstoffs. Die Studie läuft bislang sehr gut und wir gehen davon aus, dass der Impfstoff sicher ist. Ich bin da sehr zuversichtlich. Dann beginnt die nächste Phase, die zwei bis drei Jahre dauern wird. Die daran anschließende sogenannte Phase Drei der Studie dauert dann noch einmal fünf bis zehn Jahre. Wir müssen also mit mindestens zehn Jahren rechnen, bevor wir wissen, ob wir einen Impfstoff haben, der wirklich besser gegen Tuberkulose schützt als der bisher eingesetzte Impfstoff.

"Ein Impfstoff wird auf Sicherheit geprüft" - was genau bedeutet das?

Kaufmann: In der ersten Phase der klinischen Studien für jedes Medikament, für jeden Impfstoff wird zunächst einmal geprüft, ob es in der Anwendung beim Menschen zu Nebenwirkungen des Wirkstoffs kommen könnte. Man testet also den Wirkstoff an gesunden Probanden - freiwilligen, gesunden Teilnehmern einer solchen Studie - und stellt fest, ob und welche Nebenwirkungen auftreten. Erst danach wird die Wirksamkeit geprüft, das heißt in unserem Fall getestet, ob der Impfstoff wirklich gegen Tuberkulose schützt.

Wenn sich der Impfstoff nicht bewähren sollte, welche Strategien zur Bekämpfung der Tuberkulose bieten sich in der dann an?

Kaufmann: Derzeit versuchen ja einige Forschergruppen einen neuen Impfstoff zu entwickeln. Hoffen wir, dass eine es schaffen wird. Grundsätzlich gilt aber auch, dass die Impfung alleine die Tuberkulose nicht besiegen kann. Was wir brauchen, sind sowohl neue Medikamente als auch ein wirksamer Impfstoff. Die Behandlung der bereits existierenden Tuberkulosefälle mit Medikamenten und die Verhinderung neuer Erkrankungen durch einen Impfstoff - nur beide Strategien gemeinsam können es schaffen.

Wird der ersehnte Impfstoff ein vorbeugender oder ein therapeutischer sein?

Kaufmann: Alle Impfstoffe gegen Tuberkulose, an denen derzeit gearbeitet wird, sind letztendlich vorbeugend. Das gilt heute aber praktisch auch für alle anderen Infektionskrankheiten. Eines Tages haben wir vielleicht auch therapeutische Impfstoffe. Aber das ist noch ein langer Weg.

Herzlichen Dank für das Interview!

Das Gespräch führte Jürgen Bischoff.

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