Spurensuche im kosmischen Netz

Beobachtungen zeigen die Galaxienverteilung zu einer Zeit, da das Universum halb so alt war wie heute

30. März 2012

Die Verteilung der Galaxien im frühen Universum gibt Aufschluss über die Geschichte des Kosmos. Jetzt haben Astronomen dieses „Muster“ so präzise vermessen wie nie zuvor. Dabei drangen die Forscher in eine Epoche vor, die fünf bis sechs Milliarden Jahre vor unserer Zeit liegt – ein Schlüsselmoment. Denn damals wurde die Ausdehnung des Universums nicht mehr langsamer, sondern das All nahm aufgrund der geheimnisvollen dunklen Energie Fahrt auf und begann, zu beschleunigen. Die Ergebnisse gab das BOSS-Team, dem auch Forscher des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik angehören, heute auf der deutsch-britischen Astronomietagung NAM2012 in Manchester bekannt.

BOSS (Baryon Oscillation Spectroscopic Survey) ist Teil des Sloan Digital Sky Survey (SDSS-III) und begann im Jahr 2009 mit seinem Blick zurück zu einer Zeit, als die dunkle Energie im Universum anfing, eine wichtige Rolle zu spielen. Bis 2014 wird das Projekt mit einem speziell entwickelten neuen Spektrografen am 2,5-Meter-Sloan-Teleskop auf dem Apache Point Observatorium in New Mexico (USA) Daten von 1,35 Millionen Galaxien sammeln.

In den ersten eineinhalb Jahren hat BOSS bereits ein Zehntel des Himmels abgetastet und für mehr als 250.000 Sternsysteme deren dreidimensionale Positionen bestimmt. Daraus haben die Astronomen jetzt eine genaue und vollständige Verteilung der Galaxien bis zu einer Entfernung von etwa sechs Milliarden Lichtjahren ermittelt.

Die Galaxien bilden ein „kosmisches Netz“ mit vielen unterschiedlichen Strukturen, die wertvolle Informationen über unser Universum enthalten.

Für die Wissenschaftler von Interesse sind insbesondere die baryonischen akustischen Oszillationen (BAO), da sie ihnen eine Standard-Messlatte an die Hand geben. BAO sind Überreste aus der Frühphase des Universums, als es eine heiße und dichte Teilchensuppe war. Kleine Dichteschwankungen durchliefen diese Suppe als Druck- und Schallwellen.

Als sich das Universum ausdehnte und abkühlte, sank der Druck ab – und die weitere Ausbreitung dieser Wellen wurde nach etwa 500 Millionen Lichtjahren gestoppt. Dadurch wurden die Wellen gleichsam eingefroren; sie bildeten sich in der Materieverteilung ab und lassen sich heute in der Galaxienkarte ablesen: So ist die Wahrscheinlichkeit, zwei Galaxien in diesem Abstand zu finden, etwas höher als über größere oder kleinere Entfernungen.

Misst man nun die scheinbare Größe dieser BAO-Skala in der Verteilung der Galaxien, so erhält man Hinweise zu kosmischen Entfernungen. Kombiniert mit einer Messung der Galaxienrotverschiebung – einem Maß dafür, wie schnell sich die Galaxien als Folge der kosmischen Expansion von uns entfernen – können die Wissenschaftler somit die Ausdehnungsgeschichte des Universums rekonstruieren. Damit liefern die BOSS-Daten zusammen mit früheren Analysen jetzt Informationen, um die Parameter des kosmologischen Standardmodells auf eine Genauigkeit von besser als fünf Prozent zu bestimmen.

„Alle unterschiedlichen Messungen deuten auf dieselbe Erklärung“, sagt Ariel Sanchez, Wissenschaftler am Garchinger Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik und Erstautor bei einem der sechs Artikel, die heute veröffentlicht werden. „Die dunkle Energie ist konsistent mit Einsteins kosmologischer Konstante – einer kleinen, aber nicht vernachlässigbaren Energie, die den Raum kontinuierlich dehnt und damit die beschleunigte Expansion des Universums antreibt.“

Neben der dunklen Energie dienen die Informationen aus der großräumigen Galaxienverteilung aber auch dazu, um andere wichtige physikalische Parameter wie die Krümmung des Universums, die Masse des Neutrinos oder die Phase der Inflation im frühen Universum einzugrenzen. „Aktuelle Beobachtungen zeigen, dass das Universum flach sein muss, mit einer Genauigkeit von besser als 0,5 Prozent“, erklärt Sanchez. „Und während wir auf der einen Seite einen derart globalen Parameter auf kosmischen Maßstäben messen, können wir gleichzeitig Informationen über Neutrinos auf den kleinsten Skalen erhalten.“

Neutrinos sind winzige Elementarteilchen. Obwohl eine Reihe von Experimenten gezeigt hat, dass diese eine Masse haben müssen, können die Wissenschaftler nicht sagen, wie viel sie wiegen, da man das nur schwer in einem Labor messen kann. Doch als zusätzliche Komponente in der heißen, frühen Phase des Universums haben die Neutrinos Einfluss auf das Wachstum von Strukturen. Damit enthält die Verteilung der Galaxien, wie sie von BOSS sondiert wird, Informationen über die maximale Masse, welche die Neutrinos haben dürfen. „Wir haben hier wirklich die Verbindung zweier extremer Welten: der sehr, sehr großen und der sehr, sehr kleinen“, sagt Sanchez.

Aufgrund der hohen Qualität der neuen Daten konnte das BOSS-Team sogar neue Hinweise auf die kosmische Inflation erhalten, einer Zeit kurz nach dem Urknall, als sich das Universum unglaublich schnell ausdehnte. Während der kosmischen Inflation wurden kleine Bereiche des Alls so stark aufgeblasen, dass sie heute das gesamte, für uns beobachtbare Universum bilden. Gleichzeitig wurden auch die winzigen Quantenfluktuationen aufgebläht und bildeten so die Keime der Strukturen, die uns die BOSS-Daten noch heute zeigen.

„Es gibt einen regelrechten Zoo aus alternativen Inflationsmodellen. Mit BOSS bekommen wir neue wichtige Hinweise auf die inflationäre Phase des Universums, und können so den Markt der verfügbaren Modelle etwas ausdünnen“, erklärt Ariel Sanchez. Bisher jedoch stimmen alle Messungen sehr gut mit dem kosmologischen Standardmodell überein, das aus ein paar Prozent gewöhnlicher Materie, etwa einem Viertel dunkler Materie und dem Rest aus dunkler Energie besteht.

Aber Ariel Sanchez ist vorsichtig: „Das ist nur der Anfang. Wenn wir die kompletten fünf Jahre an BOSS-Daten haben, können wir viel engere Grenzen erwarten. Und es gibt auch eine Reihe zukünftiger Projekte, wie EUCLID, die uns noch bessere Messungen liefern werden. Damit werden wir den Antworten auf die großen offenen Fragen der Kosmologie einen Schritt näher kommen.“

HAE / HOR

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