Das Kraftwerk im Krebsnebel

Magic-Teleskope messen die bisher höchsten Energien in der Gammastrahlung eines Pulsars und stellen die Theorie in Frage

28. März 2012

Der Pulsar im Zentrum des berühmten Krebsnebels ist ein wahres Energiebündel. Das haben jetzt die beiden Magic-Teleskope auf der kanarischen Insel La Palma bestätigt. Sie beobachteten den Pulsar im bisher schwer zugänglichen Bereich der Gammastrahlen von 25 bis 400 Giga-Elektronenvolt (GeV) und fanden, dass er tatsächlich Pulse mit der maximal messbaren Energie bis zu 400 GeV aussendet – mindestens 50-mal mehr als von Theoretikern erwartet. Das aber bringt die Astrophysiker in Erklärungsnot: „Dahinter muss ein Prozess stecken, den wir noch nicht kennen“, sagt Razmik Mirzoyan, Projektleiter am Max-Planck-Institut für Physik.

Der Neutronenstern im Krebsnebel ist einer der bekanntesten Pulsare. Er dreht sich 30-mal pro Sekunde um die eigene Achse und besitzt ein Magnetfeld, das mit 100 Millionen Tesla mehr als 1000 Milliarden Mal stärker ist als das irdische. Der Pulsar versorgt den berühmten Krebsnebel, der sich etwa 6000 Lichtjahre von der Erde entfernt im Sternbild Stier befindet, mit Energie. Sowohl der Pulsar als auch der Nebel sind Überreste einer Supernova, die im Jahr 1054 explodierte und sich eine Zeitlang dem bloßem Auge sogar am Taghimmel zeigte.

Neutronensterne sind extrem verdichtete Kugeln mit einer Masse ähnlich jener der Sonne, jedoch mit Durchmessern von lediglich 20 Kilometern. Was aber macht Neutronensterne zu Pulsaren, von denen die Astrophysiker in unserer Milchstraße rund 2000 kennen? Neutronensterne rotieren äußerst regelmäßig und sehr schnell, ein „Tag“ dauert auf ihnen zwischen einer Millisekunde und zehn Sekunden. Während seiner Drehung sendet der Stern ständig geladene Teilchen aus, hauptsächlich Elektronen und Positronen (positiv geladene Elektronen).

Die Teilchen bewegen sich entlang von Magnetfeldlinien, die wiederum mit derselben Geschwindigkeit rotieren wie der Neutronenstern selbst. Dabei geben sie gebündelte Strahlung in allen möglichen Bereichen des Spektrums ab, von Radiowellen  bis hin zum Gammalicht. Überstreicht ein solches Strahlenbündel die Sichtlinie zur Erde, dann blitzt der Stern kurz auf – ähnlich wie das Signal eines Leuchtturms.

Schon vor einigen Jahren haben die Magic-Teleskope Gammastrahlung vom Krebspulsar mit einer Energie von mehr als 25 GeV empfangen und dabei die von Satelliten gemessene Grenze um das Fünffache übertroffen. Diese Strahlung, so schlossen die Forscher damals, muss mindestens 60 Kilometer über der Oberfläche des Neutronensterns entstehen. Der Grund: Die hochenergetischen Lichtteilchen werden vom Magnetfeld des Sterns so wirksam abgeschirmt, dass eine Quelle sehr nahe am Stern bei derart hohen Energien gar nicht gesehen werden könnte.

Nun zeigen die Messungen von Magic über einen Zeitraum von zwei Jahren, dass der pulsierende Ausstoß mit einer Energie von 400 GeV weit über die erwarteten Werte hinausgeht – und das auch noch in extrem kurzen Impulsen von etwa einer Millisekunde Dauer. Das Ergebnis stellt die bisherigen Theorien über Pulsare in Frage, denn bisher galten für alle diese Objekte deutlich niedrigere Energieobergrenzen.

Ein neues theoretisches Modell des mit dem Magic-Team kooperierenden Theoretikers Kouichi Hirotani von Academia Sinica des Institute of Astronomy and Astrophysics in Tawain erklärt das Phänomen mit einem kaskadenartigen Vorgang: Danach werden sekundäre Teilchen produziert, welche die von der Magnetosphäre des Pulsars gebildete Barriere überwinden können. Eine andere mögliche Erklärung von Felix Aharonian von Dublin Institute for Advanced Studies und weiteren Forschern verbindet dieses Emissionsmerkmal mit der ebenso rätselhaften Physik des dunklen Pulsarwinds – einem Strom aus Elektronen und Positronen sowie elektromagnetischer Strahlung, der letztlich im Krebsnebel aufgeht.

Doch auch die aktuellen Modelle erklären weder die extrem hohe Energie noch die Kürze der Impulse befriedigend. So hoffen die Astrophysiker, dass zukünftige Beobachtungen hierzu die Datenstatistik verbessern und das Rätsel lösen helfen. Das könnte neues Licht auf die Familie der Pulsare werfen – und auf den Krebsnebel selbst, der als eines der meist studierten Objekte unserer Milchstraße gilt.

HOR / SZ

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