Selbstmord fürs Gemeinwohl

Programmierter Zelltod als Schutz vor Infektionen

10. Januar 2007

Sie sind die zahlenmäßig größte Gruppe weißer Blutzellen: Neutrophile Granulozyten fangen und töten Mikroorganismen durch extrazelluläre Strukturen, die aus Nukleinsäure und aggressiven Enzymen bestehen, den sogenannten Neutrophil Extracellular Traps (NETs). Ein Team von Wissenschaftlern um Arturo Zychlinsky vom Max Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin hat jetzt herausgefunden, auf welche Weise die Granulozyten diese "Fangnetze" bilden (Journal of Cell Biology, online, 8. Januar 2007). Die Zellen durchlaufen dabei ein Programm, das am Ende zu ihrem Tod führt. Während sie sterben, schleudern sie ihren Zellkern heraus. Die darin enthaltene Nukleinsäure hat sich mit antibakteriellen Enzymen vermischt und bildet außerhalb der Zelle ein für Mikroorganismen tödliches Netz. In den Körper eingedrungene Bakterien und pathogene Pilze verfangen sich darin und werden abgetötet.

In jeder Minute verlassen mehrere Millionen neutrophiler Granulozyten das Knochenmark und patrouillieren durch die Blutgefäße auf der Suche nach eingedrungenen Krankheitskeimen. Sie stellen den ersten Verteidigungswall des Immunsystems gegen eingedrungene Krankheitserreger dar, wandern in das infizierte Gewebe und bekämpfen dort die Keime. Seit langem ist bekannt, dass neutrophile Granulozyten Bakterien abtöten können, indem sie sie "auffressen", also in die Zelle aufnehmen und mithilfe von antimikrobiellen Enzymen zersetzen.

Bereits vor einiger Zeit hatten die Wissenschaftler aus der Arbeitsgruppe von Arturo Zychlinsky vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin entdeckt, dass die neutrophilen Granulozyten noch einen zweiten antibakteriellen Mechanismus benutzen: Sie fangen außerhalb der Zelle Bakterien in netzartigen Strukturen aus Nukleinsäure und Enzymen und töten sie ab. Den Wissenschaftlern gelangen eindrucksvolle Aufnahmen von diesen Strukturen. Völlig unklar war jedoch, wie die Zellen die lebenswichtigen Zellkernbestandteile mobilisieren und aus der Zelle herausschleudern können.

Anhand langwieriger mikroskopischer Untersuchungen an lebenden Granulozyten konnten sie schließlich den Vorgang aufklären. Die Neutrophilen werden durch Bestandteile der eingedrungenen Bakterien aktiviert und verändern daraufhin die Struktur ihres Zellkerns und der Granula, kleiner Enzymspeicher im Zytoplasma der Zellen. "Die Hülle um den Kern zerfällt, die Granula lösen sich auf, und so können sich die NETs-Bestandteile im Innern der Zellen mischen", erklärt der Leiter der Arbeitsgruppe Mikroskopie, Volker Brinkmann. Am Ende zieht sich die Zelle noch einmal zusammen bis die Zellmembran an einer Stelle aufreißt und die hochaktive Mischung herauskatapultiert wird. Außerhalb der Zelle entfaltet sie sich und bildet dann jene Netze, in denen sich Bakterien verfangen.

Interessanterweise ist dieser Prozess gleichermaßen effizient wie das "Auffressen": "In den NETs der toten Granulozyten werden ähnlich viele Bakterien abgetötet wie von lebenden Blutzellen verdaut werden", sagt Arturo Zychlinsky. Und so erfüllen die Abwehrzellen auch nach ihrem Tod noch ihre lebenswichtige Funktion.

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