Mikrolinsen aus dem Reagenzglas

Max-Planck-Forscher entwickeln neues Verfahren zur Herstellung von Mikrolinsen

7. März 2012

Von der Natur abgeschaut: Der Körper des Schlangensterns Ophiocoma wendtii ist übersät mit winzigen Kristall-Linsen aus Kalziumkarbonat. Solche Mikrolinsen sind technisch von großem Interesse, konnten aber bisher nur mit hohem Aufwand hergestellt werden. Nun haben sich Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung und Kollegen anderer Institute von der Biologie inspirieren lassen und ein Verfahren entwickelt, mit dem regelmäßig angeordnete Kalziumkarbonat -Linsen auf relativ einfache und billige Weise hergestellt werden können.

Die Natur macht es vor: Manche Lebewesen bauen Minerale so perfekt in ihren Organismus ein, dass daraus Gebilde mit ganz erstaunlichen Eigenschaften entstehen. Aus einer Verbindung von Kalziumkarbonat (CaCO3) mit organischen Stoffen gehen in den Meeren Muschelschalen, Korallenskelette und Seeigelstacheln hervor. Die perfekteste Art, Minerale zu biologischen Zwecken zu nutzen, hat der Schlangenstern Ophiocoma wendtii entwickelt. Dieser Verwandte des Seesterns war Zoologen lange ein Rätsel, weil er offenbar lichtempfindlich ist, ohne erkennbare Augen zu haben. Schließlich stellten Wissenschaftler vor einigen Jahren fest, dass der Körper dieses Korallenriffbewohners mit winzigen Kristall-Linsen aus Kalziumkarbonat bedeckt ist, die zusammen eine Art Facetten-Auge bilden.

Solche Mikrolinsen kommen in der Technik überall dort zum Einsatz, wo optische Systeme und Messungen kleiner als im Millimeter-Maßstab benötigt werden. In der Telekommunikation werden sie beispielsweise genutzt, um Lichtsignale in Bündel von Glasfasern zu leiten. Doch bisher konnten diese kleinsten optischen Linsen nur mit großem Aufwand, etwa mit Halbleiter-Technik hergestellt werden. Forscher des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung haben nun zusammen mit Kollegen der Universität Konstanz und Partnern aus Südkorea eine verblüffend einfache Methode entwickelt, solche Linsen zu produzieren – und dabei von der Natur gelernt.

Mikrolinsen ohne Reinraum

Das Wissenschaftler-Team hat entdeckt, dass auf einer mit Kalzium gesättigten Lösung in wenigen Minuten bei Raumtemperatur winzig kleine Kalziumkarbonat-Strukturen entstehen, die nach ein bis zwei Stunden zu einem dünnen Film wachsen. Durch Beigabe einer organischen, oberflächenaktiven Substanz bilden sich dann gleichförmige Halbkugeln. „Verglichen mit der herkömmlichen Technik, für die viele Arbeitsschritte und ein Reinraum nötig sind, können regelmäßig angeordnete Mikrolinsen auf diese Weise sehr einfach und billig hergestellt werden,“, sagt Kyu-Bock Lee, der am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam und am KAIST in Südkorea forscht.

Die Wissenschaftler konnten durch die Linsen klare Abbilder eines „A“ von der Größe eines tausendstel Millimeters beobachten. „Die hohe Qualität der Mikrolinsen hat uns sehr überrascht“, sagt Wolfgang Wagermaier, Werkstoffwissenschaftler am Potsdamer Max-Planck-Institut. „Zum ersten Mal konnten solche optischen Eigenschaften an synthetisch hergestellten Kalziumkarbonat-Strukturen demonstriert werden.“ Die Linsen fokussieren ein Strahlenbündel parallelen Lichts bei jeweils rund 0,001 Millimeter, sie haben einen Durchmesser von 0,006 Millimeter und eine Brennweite von 0,007 bis 0,008 Millimeter.

Schlangenstern erzeugt Linsen ohne Abbildungsfehler

Viele Lebewesen bauen Kalziumkarbonat als Grundstoff in ihr Knochengerüst ein, was zeigt, dass das Mineral keinen negativen Einfluss auf einen Organismus hat. Die Wissenschaftler haben auch die Verträglichkeit der im Labor hergestellten Mikrolinsen mit biologischen Substanzen nachgewiesen; somit könnten sie auch beispielsweise in der Zellforschung zum Einsatz kommen.

Diese Nachbildung von optischen Linsen des Schlangensterns gilt als Musterbeispiel für das aufstrebende Forschungsgebiet der biologisch inspirierten Materialherstellung. Denn die Kristall-Linsen dieses Meeresbewohners haben eine erstaunliche Qualität: Die Kristalle sind so ausgerichtet, dass die für CaCO3 typische Doppelbrechung nicht wirksam ist, also keine Doppelbild entstehen. Außerdem sind sie genau so geformt, dass die sphärische Aberration, ein schwerer Abbildungsfehler, korrigiert ist. Peter Fratzl, Leiter der Abteilung Biomaterialien am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, sagt: „Aus dem Bauprinzip natürlicher Materialien fundamentale Prinzipien für die Materialsynthese abzuleiten, ist normalerweise eine große Herausforderung. Manchmal gibt es auch erfreuliche Überraschungen wie diese Entdeckung eines relativ einfachen Verfahrens, um optische Elemente nach dem Vorbild der Natur herzustellen.“

PR/PH

Zur Redakteursansicht