Genetische Vielfalt trotzt dem globalen Klimawandel

Neue Erkenntnisse zur Belastbarkeit von Lebensgemeinschaften geben Impulse für Naturschutz und Umweltmanagement

15. Februar 2005

In einer neuen in den Proceedings of the National Academy of Sciences (Februar 2005) veröffentlichten Studie konnte ein Forscherteam des Max-Planck-Instituts für Limnologie in Plön und des Leibniz-Instituts für Meereswissenschaften in Kiel zeigen, dass genetische Vielfalt die Widerstandsfähigkeit von Lebensgemeinschaften gegenüber globaler Erwärmung erhöhen kann. Bei ihren Experimenten in Seegraswiesen der Ostsee profitierten die Forscher von der ungewöhnlichen Hitzewelle im Sommer 2003, die zu großflächigem Absterben vieler Flachwasserlebewesen geführt hatte. Nach den Untersuchungen der Wissenschaftler erholten sich genetisch vielfältige Wiesenabschnitte deutlich schneller als genetisch gleichförmigere und wiesen am Ende des Sommers mehr Biomasse und Pflanzendichte auf.

Der heutige Klimawandel wird nicht nur spürbar durch den Anstieg der mittleren globalen Temperatur, sondern auch durch eine Häufung im Auftreten von Extremereignissen wie Hitzewellen, Stürme und Überflutungen. Eine zentrale Frage lautet, wie Populationen und Lebensgemeinschaften diese klimatischen Extreme bewältigen. Frühere Arbeiten haben gezeigt, dass die Artenvielfalt für die Produktivität und Stabilität von Ökosystemen eine wichtige Rolle spielt. Doch was ist mit Lebensgemeinschaften, die nur von wenigen Pflanzenarten dominiert werden? Seegraswiesen bestehen in der Regel nur aus ein oder zwei Arten und bilden trotzdem eine der produktivsten Pflanzengemeinschaften auf der Erde. Sie sind Grundlage für marine Lebensgemeinschaften, indem sie Nährstoffe umsetzen, Lebensraum für Fische und Wirbellose bieten und die Küstenerosion einschränken. Die wenigen Arten in einer solchen Population verfügen allerdings über eine enorme Vielfalt an so genannten Genotypen - also Individuen mit unterschiedlicher genetischer Ausstattung.

Im Sommer 2003 führte die ungewöhnlichen Hitzewelle in Europa zu einem großflächigen Absterben vieler Flachwasserlebewesen in den Seegraswiesen der Ostsee. Das bescherte den Wissenschaftlern um Thorsten Reusch eine ideale Ausgangssituation für ihre Experimente. Denn dieses Ereignis bot eine Gelegenheit, die ökologische Antwort einer Küstengemeinschaft auf eine rasche globale Erwärmung aufzudecken und dabei jene Faktoren zu identifizieren, die die Widerstandsfähigkeit und Belastbarkeit von Lebensgemeinschaften angesichts des globalen Klimawandels verstärken können.

Wie die Forscher herausfanden, erholten sich in Experimentalflächen mit unterschiedlicher genetischer Diversität des Seegrases genetisch vielfältige Wiesenabschnitte deutlich schneller und wiesen am Ende des Sommers mehr Biomasse und Pflanzendichte auf als genetisch wenig diverse. Völlig unerwartet waren für die Wissenschaftler die Auswirkungen auf die Nahrungskette: In den vielfältigen Flächen waren nämlich - trotz der nahe an der Letalgrenze liegenden Wassertemperaturen - auch mehr Muscheln, Krebse und Schnecken zu finden. "Diese Biodiversitätseffekte beruhen erstaunlicherweise nicht auf der Dominanz besonders robuster Genotypen in den genetisch vielfältigeren Experimentalflächen. Tatsächlich konnten wir feststellen, dass in den Mischungen vor allem die empfindlicheren Genotypen durch die robusteren in ihrem Überleben und Wachstum gefördert wurden", erklärt Thorsten Reusch.

Die Ergebnisse der Forscher aus Norddeutschland haben Auswirkungen auf den Naturschutz und das Umweltmanagement, denn sie zeigen, dass genetische Vielfalt in artenarmen Lebensgemeinschaften die Funktion von Artenvielfalt einnehmen und extreme klimatische Ereignisse abpuffern kann. Gerade vor dem Hintergrund globaler Umweltveränderungen sollte dies eine zusätzliche Motivation sein, auch genetische Vielfalt zu schützen und zu erhalten.

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