Das Musterbeispiel einer kriminellen Karriere gibt es nicht

Max-Planck-Forscher stoßen auf große Unterschiede zwischen Straftätern

15. Februar 2012

Gibt es typische kriminelle Karrieren? Dieser Frage ist der Kriminologe Volker Grundies vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg nachgegangen. Insgesamt lagen für diese Studie die Daten von circa 21.000 Männern aus Baden-Württemberg, vor, die einmal oder mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren. Die Ergebnisse seiner Studie stellen gängige kriminologische Theorien über die Entwicklung straffälligen Verhaltens im Lebenslauf einer Person in Frage.

Für ihr Projekt analysierten Grundies und seine Kollegen an dem Freiburger Institut die justiziellen Registrierungsdaten der Geburtskohorte 1970 über eine Altersspanne von 14 bis 32 Jahren mit einem statistischen Verfahren der Kriminologen Daniel Nagin und K.C. Land. Dieses geht davon aus, dass es nur einige, wenige typische Altersverläufe straffälligen Verhaltens gibt und dass jeder Täter danach zugeordnet werden kann. Zwar fanden sie dabei mehrere solche typischen Altersverläufe, die aber einer kritischen Überprüfung nicht standhielten. "Sie sind vielmehr ein Produkt des Verfahrens selbst, das ja von der Existenz solcher Altersverläufe ausgeht", so Grundies.

Wie sich zeigte, wiesen 87 Prozent nur wenige Einträge ins Strafregister auf. Weitere 11 Prozent waren häufiger mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Sie hatten im Durchschnitt etwa sieben bis acht Einträge kassiert, die überwiegend in einem begrenzten Altersabschnitt erfolgt waren. Nur zwei Prozent konnten als chronische Straftäter eingestuft werden. Sie hatten fast gleichbleibend über den gesamten beobachteten Altersbereich Einträge ins Strafregister erhalten. "Daraus lässt sich schließen, dass die meisten kriminellen Karrieren nur mittelfristig andauern", so Grundies.

"Unterm Strich ließen sich die erfassten kriminellen Karrieren zwar bezüglich Einstiegsalter, Häufigkeit der Registrierungen und Dauer unterscheiden, zeichneten sich dabei jedoch zugleich durch ihre große, aber gleichmäßig verteilte Vielfalt an einzelnen Verläufen aus", berichtet Grundies. Aus diesem breiten Spektrum an möglichen Ausprägungen seien keine typischen Verläufe abzulesen. Die Freiburger Forscher fanden also bei ihren statistischen Analysen keine real unterscheidbaren Gruppen. "Zwischen allen Gruppen gab es Überlappungen, sodass eine Kategorisierung aus kriminologischer Perspektive sinnlos und willkürlich ist", so Grundies.  "Auch einen generellen, nur in seiner Intensität individuell variierenden Verlauf, wie ihn auf bestimmte Persönlichkeitsmerkmale fokussierte Theorien vorhersagen, konnten wir nicht entdecken."

Dieses Resultat habe ihn schon sehr überrascht, berichtet der Forscher weiter. "Ich war erst einmal schön frustriert, habe mich dann aber gefragt, woran das liegen kann, und fand das Ergebnis plötzlich sehr spannend." Schließlich bestätigt es seine persönlichen Theorie über die Ursache krimineller Karrieren: ein gestörtes Gleichgewicht zwischen Individuum und Gesellschaft. "Auch wenn sich solche Störungen im Jugendalter häufen, deutet das Fehlen von Mustern darauf hin, dass diese Balance prinzipiell in jedem Lebensalter gestört werden kann."

BF/HR

 

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