Transportproteine als neurologische Targets

Max-Planck-Wissenschaftler entdecken gegensätzliche Funktionen von Glycin-Transportern im Nervensystem / Bedeutung für neurologische Erbkrankheiten

13. Januar 2004

Neurotransmitter stimulieren oder hemmen die Aktivität von Nervenzellen. Nach ihrer Freisetzung werden sie entweder rasch abgebaut oder durch Transporter-Systeme beseitigt. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung haben jetzt untersucht, was passiert, wenn man jene zwei Gene ausschaltet, welche die Transporter für den hemmenden Neurotransmitter Glycin kodieren. Überraschend stellten sie fest, dass der Verlust des Glycin-Transporters in Gliazellen zu einer verstärkten Hemmung der motorischen Aktivität führt, während der Verlust des Glycin-Transports in hemmenden Neuronen Übererregung und schwere Krämpfe auslöst. Diesen gegensätzlichen Phänotypen lassen sich unterschiedliche menschliche Erkrankungen zuordnen, die durch spezifische Fehlfunktionen in der Glycin-vermittelten Hemmung von Nervenzellen gekennzeichnet sind (Neuron, 13. November 2003). Diese Erkenntnisse sind von Bedeutung für neue Therapie-Ansätze unter anderem bei Schizophrenie.

Die Erregungsübertragung zwischen Nervenzellen erfolgt mittels kleiner Botenstoffe, den so genannten Neurotransmittern, deren regulierte Freisetzung aus vorgeschalteten Zellen bestimmte Rezeptoren in nachgeschalteten Nervenzellen aktiviert. Diese Aktivierung der Rezeptoren führt dazu, dass die Zielzellen entweder angeregt oder in ihrer Aktivität gehemmt werden. Für die Reizweiterleitung ist es wichtig, dass die freigesetzten Transmitter sehr schnell wieder beseitigt werden, damit die Rezeptoren für eine erneute Aktivierung zur Verfügung stehen. Dazu gibt es unterschiedliche Mechanismen: Zum einen kann der Neurotransmitter durch abbauende Enzyme inaktiviert werden; doch an den meisten Schaltstellen im Zentralnervensystem wird er einfach durch hocheffiziente Wiederaufnahmesysteme, so genannte Transporter, rasch aus dem Übertragungsraum, dem synaptischen Spalt, entfernt und wieder in die Nervenzelle aufgenommen. Wirkstoffe, die solche Neurotransmitter-Transporter und damit die Wiederaufnahme von Neurotransmittern selektiv hemmen, haben sich als klinisch hocheffiziente Pharmaka beispielsweise bei der Behandlung von depressiven Patienten bewährt.

Für den hemmenden Neurotransmitter Glycin kennt man heute zwei verschiedene Transporter. Der eine (GlyT1) kommt in den die Nervenzellen umgebenden Stütz- oder Gliazellen vor, der andere (GlyT2) wird hochspezifisch in Hemmung vermittelnden Interneuronen des Rückenmarks und des Hirnstamms exprimiert. Deshalb wurde bisher vermutet, dass GlyT2 Glycin aus dem synaptischen Spalt entfernt und auf diese Weise die hemmende Erregungsübertragung beendet. Dem glialen GlyT1 wurden dagegen hauptsächlich Funktionen bei der Regulation des so genannten NMDA-Rezeptors an erregenden Synapsen zugeschrieben.

Um die Funktionen beider Transporter genauer zu erhellen, haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung nun spezielle Mauslinien entwickelt, in denen die GlyT1- bzw. GlyT2-Gene inaktiviert sind. Diese Mauslinien stellen Tiermodelle für zwei seltene neurologische Erbkrankheiten des Menschen dar, die "Glycinenzephalopathie", welche zu einer Störung der Hirnentwicklung und zum Tod im frühen Kindesalter führt, und die erbliche "Hyperekplexie" oder "Schreckkrankheit", deren schwere Formen ebenfalls zu frühem Kindstod führen können. Die Untersuchung der Mutantentiere ergab, dass anders als vermutet GlyT1 hauptsächlich für die Beendigung der glycinergen Neurotransmission verantwortlich ist, während GlyT2 die Wiederaufnahme von Glycin in die vorgeschaltete Nervenendigung vermittelt und somit die Bereitstellung von Glycin für neue Übertragungsvorgänge sichert (siehe Abbildung).

Die an den GlyT-defizienten Mauslinien gewonnenen Erkenntnisse sind auch für die Entwicklung neuer therapeutischer Ansätze wichtig. So gilt das GlyT1-Protein derzeit als eines der wichtigsten Zielmoleküle für die Entwicklung neuer, bei Schizophrenie wirksamer Pharmaka. Die genauen Ursachen dieser häufigsten psychiatrischen Erkrankung sind bis heute ungeklärt. In Tierversuchen und klinischen Studien an Schizophrenie-Patienten konnte aber gezeigt werden, dass die verbesserte Aktivierung des Glycin-abhängigen erregenden NMDA-Rezeptors durch direkte Glycinsubstitution oder pharmakologische Hemmung der GlyT1-vermittelten Glycinaufnahme typische Symptome der Schizophrenie deutlich reduziert.

Etliche Forschungslabors in Pharmafirmen suchen deshalb nach klinisch nutzbaren Inhibitoren von GlyT1, da solche Stoffe für die Behandlung von Psychosen sehr vielversprechend erscheinen. Doch die jetzt durch Geninaktivierung erhaltenen Befunde lassen vermuten, dass bei derartigen Therapieansätzen möglicherweise mit erheblichen Nebenwirkungen zu rechnen ist, da GlyT1 vitale Funktionen an hemmenden Synapsen im Hirnstamm hat. In neugeborenen GlyT1-defizienten Tieren führt die verminderte Glycinaufnahme zu einer verstärkten Aktivierung hemmender Rezeptoren, wodurch es zu einer tödlichen Verlangsamung des Atemrhythmus kommt.

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