Sofia auf dem Weg nach Deutschland

17. September 2011

Am 17. September 2011 ist das fliegende Observatorium Sofia von Palmdale in Kalifornien nach Köln geflogen. Mit an Bord war Autor Alexander Stirn. Hier sein Logbuch.

13.30 Uhr MESZ: Behutsam wird Sofia aus dem großen Hangar der Dryden Aircraft Operations Facility im kalifornischen Palmdale geschleppt. 75-mal war das fliegende Infrarot-Observatorium, das von der Nasa und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt gemeinsam betrieben wird, bereits in der Luft. Doch heute soll ein ganz besonderer Tag werden.

14.00 Uhr: In der kalifonischen Wüste, die der deutschen Zeit um neun Stunden hinterher hinkt, geht langsam die Sonne auf. Techniker der Nasa haben begonnen, Sofia zu betanken. Exakt 140 Tonnen Sprit benötigt die umgebaute Boeing 747SP, um erstmals nach Deutschland aufbrechen zu können. Das Abfluggewicht für die Reise nach Köln ist mit 361 Tonnen berechnet worden. „Keine Sorge, während unserer Tests war Sofia schon mal so schwer – und es ist alles gut gegangen“, beruhigt Pilot Troy Asher. Rund eine Stunde dauert das Tanken.

16.30 Uhr: Crew Briefing. Jeder, der mit Sofia in die Luft gehen will, muss an der Besprechung teilnehmen. Der Raum im ersten Stock des Nasa-Hangars ist gut gefüllt; rund 50 Männer und Frauen werden heute an Bord sein. Am Tag zuvor hatten Techniker noch zusätzliche Sitze eingebaut. Auch die Funkanlage im Cockpit ist neu – ansonsten hätte Sofia gar nicht den europäischen Luftraum ansteuern dürfen.

18.43 Uhr: Asher, einer der erfahrensten Testpiloten bei der Nasa, schaltet die „Bitte anschnallen“-Zeichen an. Der Jumbo holpert zur Startbahn.

19.08 Uhr: Mit acht Minuten Verspätung gibt Sofia auf Runway 25 des Palmdale Regional Airports vollen Schub. Das Flugzeug wirkt schwer, die Beschleunigung träge – fast so, als wolle sie niemals enden. Dann erhebt sich das fliegende Observatorium aber doch in die Luft. Seine Flugroute führt zunächst geradewegs nach Norden, fast bis zum Nordpol.

19.16 Uhr: Die Sofia-Besatzung und die Teleskoptechniker tragen beigefarbene Overalls aus feuerfestem Material, die Wissenschaftler des deutschen Instruments Great (German Receiver for Astronomy at Terahertz Frequencies) tragen blaue Hemden mit aufgesticktem Sofia-Logo. Sobald Pilot Asher die Anschnallzeichen ausschaltet, vermischen sich die Gruppen: Bislang ist Sofia nur nachts gestartet. Jetzt, während des Überführungsfluges nach Europa, nutzen Ingenieure und Forscher das verbleibende Tageslicht, um ein paar Erinnerungsfotos der kalifornischen Wüste zu schießen.

21.30 Uhr: Sofia erreicht kanadischen Luftraum. Troy Asher dreht leicht am Knopf des Autopiloten und steuert das Flugzeug auf einen neuen Kurs. 34 Jahre alt ist die Maschine, im Cockpit dominieren Schalter, Knöpfe, Rundinstrumente. Vier Mann und ein Navigator sind nötig, um den Jumbo-Jet über den Atlantik zu steuern. Fein säuberlich führt der Bordingenieur Buch über den Benzinverbrauch – mit Papier und Bleistift.

23.07 Uhr: Warten auf den Sonnenuntergang. Mancher an Bord liest, schläft oder fährt mit dem iPad Autorennen.

0.14 Uhr: Fast unbemerkt hat die Crew die mehrere Quadratmeter große Klappe geöffnet, die das im hinteren Teil des Rumpfes eingebaute Teleskop während Start und Landung schützt. „Wenn wir es nicht wüssten, wir würden die geöffnete Luke gar nicht bemerken“, sagt Asher. „Die Aerodynamik-Ingenieure haben ganze Arbeit geleistet.“

0.24 Uhr: „Ein Stern, wir haben einen Stern”, jubelt Teleskop-Ingenieur Randy Grashuis. Obwohl es draußen noch immer taghell ist, hat Sofias Kamera ein erstes Himmelsobjekt erfasst. Sterne sind wichtig für die Orientierung am Himmel. Vor allem dient ihr Licht aber als Fixpunkt, auf den das Teleskop – allen Bewegungen des Flugzeuges zum Trotz – starr ausgerichtet werden kann.

1.01 Uhr: „Sieht nicht so gut aus”, ist aus der Wissenschafts-Ecke zu vernehmen. Trotz einer Flughöhe von bis zu 43.000 Fuß (13,1 Kilometern) befindet sich noch verhältnismäßig viel Wasser in der Atmosphäre. Wasserdampf ist allerdings der Feind der Infrarotastronomen: Er schluckt die interessanten Frequenzen. 35 Mikrometer zeigen die Wasserdampfmessungen, optimal wären in dieser Höhe fünf Mikrometer. Am Erdboden, zum Beispiel in der staubtrockenen Atacama-Wüste, sind es mehr als 300 Mikrometer.

1.37 Uhr: Vierzig Minuten später als gedacht liefert Sofia das erste brauchbare Spektrum. „Gute Arbeit, Randy“, lobt Jürgen Stutzki, Physiker an der Universität Köln und einer der wissenschaftlichen Leiter des Great-Konsortiums. Im Idealfall zeigen die zackigen Linien einen deutlichen Buckel in ihrer Mitte. Im Sternentstehungsgebiet IC342, das heute beobachtet wird, fällt diese Kurve aber äußert schwach aus. „Diese Quelle fordert uns“, sagt Stutzki. „Das tut richtig weh.“

2.25 Uhr: Den Astronomen läuft die Zeit davon. In knapp 25 Minuten, südwestlich von Island, muss Sofia die leichte Linkskurve, die dafür sorgt, dass IC342 ständig im Sichtfeld des Teleskops bleibt, abbrechen. Dann ist eine Flugverbotszone im Weg.

2.43 Uhr: „Noch zehn Minuten“, funkt Mission Director Charlie Kaminski übers Bordnetz. Stöhnen.

2.48 Uhr: „Fünf Minuten“, sagt Kaminski. Irgendjemand antwortet: „Oh, oh.“

2.52 Uhr: „Eine Minute!“ – „Mein Gott!“

2.53 Uhr: Sofia legt sich auf die Sekunde genau in die angekündigte Kurve. Das Teleskop wird festgeklammert. Schluss mit IC342. „Wir laufen immer in die Zeitgrenze rein“, sagt Rolf Güsten, Great-Projektleiter aus dem Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn. „Viel schlimmer wäre es aber, wenn uns unterwegs die Arbeit ausgehen würde.“

5.15 Uhr: „Noch vier Minuten.“ – „Wow!“. Auch bei der Galaxie M82, dem zweiten Objekt auf dem Überführungsflug, läuft es wieder genauso ab. „Es ist ein brutales Geschäft“, sagt der Kölner Physiker Urs Graf, einer der Entwickler von Great. „Umso wichtiger ist es, dass alle Beobachtungen bis aufs i-Tüpfelchen genau geplant und vorgegeben werden.“

6.06 Uhr: Mission Director Charlie Kaminski gibt den Befehl, die Luke im Rumpf wieder zu schließen.

6.13 Uhr: „This is Nasa 747 Heavy, say again!“ Ein Stockwerk höher kämpft Pilot Troy Asher mit dem dichten, völlig ungewohnten Luftverkehr über Europa, mit den neuen Funkgeräten und den Akzenten der Fluglotsen. Er ist letztlich erfolgreich.

6.49 Uhr: Hart setzt die Boeing 747SP auf der Landebahn 14L des Flughafens Köln/Bonn auf. Sofia ist in Deutschland angekommen.

Zur Redakteursansicht