Forschungsbericht 2008 - MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht

Ökonomische und rechtliche Analyse der Immaterialgüterrechtsdurchsetzung

Autoren
Müller-Langer, Frank; Wechsler, Andrea
Abteilungen

Geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht (Prof. Dr. Dres. h.c. Joseph Straus)
MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München

Zusammenfassung
Die ökonomische Analyse des Immaterialgüterrechts stellt eine wesentliche Verfeinerung der Untersuchungsmethoden der Grundlagen des geistigen Eigentums dar. In der International Max Planck Research School for Competition and Innovation (IMPRS-CI) wurden diese beiden Forschungsstränge mit dem Ziel einer ökonomischen und rechtlichen Analyse der Immaterialgüterrechtsdurchsetzung zu einem neuen Forschungsschwerpunkt verbunden.

Zur Notwendigkeit eines interdisziplinären Forschungsansatzes

Die globalisierte und digitalisierte Wissensgesellschaft ist in erheblichem Maße von Systemen abhängig, die Kreativität und Innovationen fördern und Wissen verbreiten [1, 2]. Rechtssysteme zum Schutze geistigen Eigentums sind darin unerlässlich, ihre formelle und materielle Ausgestaltung spielt eine zentrale Rolle. Die Organisation der einzelnen Bereiche des Immaterialgüterrechts, welche sich über Systemstellschrauben wie Schutzhöhe, Schranken oder Schutzdauer definieren lässt, bestimmt über die Verfügbarkeit und den Wert einer Erfindung oder eines Werkes und somit über die Konkurrenzfähigkeit von Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen. Bei der Bewältigung dieser Aufgabe der Systemausgestaltung hat die ökonomische Analyse des Immaterialgüterrechtsschutzes in den letzten Jahren einen Bedeutungszuwachs erfahren.

So besteht heute weitgehend Einigkeit darüber, dass so genannte ökonomische „Incentive-Theorien“ die Grundlage für die Ausgestaltung von Immaterialgüterrechten darstellen [3]. Die Frage, inwieweit im Rahmen dieser Theorien Anreize geschaffen werden können oder notwendig sind – oder wann Rechtstitel eher neue intellektuelle Güter behindern, anstatt sie zu fördern – lässt sich nur bedingt mit rechtswissenschaftlichen Analysemethoden beantworten. Juristen tragen zwar zur Ausgestaltung von Rechtsnormen bei, doch sind sie oft auf wirtschafts- beziehungsweise sozialwissenschaftliche Analysemethoden angewiesen. Dies wird in der rechtswissenschaftlichen Forschung im Bereich des Schutzes geistigen Eigentums bisher nur unzureichend berücksichtigt. Insbesondere kann die Bewertung der Wirksamkeit oder Effizienz gegenwärtig implementierter Schutzrechtssysteme, ihrer Wirkung auf Innovation und Wettbewerb sowie die Evaluierung alternativer Mechanismen, wie zum Beispiel Open Source Software, nur auf der Grundlage interdisziplinärer, insbesondere rechtsökonomischer und empirisch geprägter Forschung durchgeführt werden. Ein rein rechtswissenschaftlicher Ansatz kann die Frage, wie Maßnahmen zur Innovationsförderung ausgestaltet werden sollten, nicht angemessen beantworten. Vielmehr führte dieser Ansatz in den letzten Jahrzehnten zu einem steten, in erster Linie auf die Interessen der (potenziellen) Rechteinhaber ausgerichteten Ausbau des Schutzes, da „im Zweifel“ Schutz gewährt wurde.

Der Tendenz zum Überschutz sind zuletzt Gegenbewegungen bei Globalisierungsgegnern in der westlichen Welt, aber auch in Entwicklungsländern und in bestimmten Wirtschaftszweigen erwachsen, die gegen diesen Überschutz Sturm laufen. Die Wirtschaft kritisiert zum Teil selbst Entwicklungen, die Rechteinhabern auf wettbewerbsschädigende Art die Kontrolle über nachgelagerte Märkte sichern. Außerdem gibt es trotz des in den letzten Jahrzehnten ausgebauten Schutzes geistigen Eigentums weiterhin das Problem der Unterinvestition in Forschung und Entwicklung – insbesondere im pharmazeutischen Bereich bei der Entwicklung von Medikamenten gegen vernachlässigte tropische Infektionskrankheiten.

Diese Gegenbewegungen gehen davon aus, dass Individualrechte in der Hand einzelner weniger Schutzrechtsinhaber nicht notwendigerweise Fortschritt fördern und Wohlstand mehren. Die gegenwärtigen Bestrebungen, die Schutzsysteme noch weiter auszubauen und effizienter durchzusetzen, werden zunehmend sogar als gefährlich und kontraproduktiv angesehen; verlangt wird eine grundlegende Neuorientierung der Rechtssysteme zum Schutze geistigen Eigentums.

In den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften ist ein Trend zu beobachten, sich mit Aspekten des geistigen Eigentums auseinanderzusetzen. Die dabei formulierten Fragen sind allerdings häufig zu spezifisch und konzentrieren sich nicht unbedingt auf jene aus rechtswissenschaftlicher Sicht relevanten Probleme. Es besteht daher die Gefahr, dass wichtige Erkenntnisse der Wirtschaftswissenschaften in den Rechtsnormen nicht ausreichend berücksichtigt werden. Umgekehrt sind Juristen sehr wohl in der Lage, sich ein Grundverständnis wirtschaftswissenschaftlicher Systemtheorien anzueignen. Allerdings werden sie ohne entsprechende Vernetzung mit den Wirtschaftswissenschaftlern nicht in der Lage sein, weiterführende empirische Erkenntnisse zu erlangen und nutzbar zu machen, da die betreffende Methodik eine spezifische Ausbildung und Erfahrung erfordert.

Viele grundlegende Fragen im Bereich des Wettbewerbs und des Schutzes geistigen Eigentums sind bisher unbeantwortet geblieben. Interdisziplinäre Forschung in diesen Bereichen ist dringend notwendig, denn die gegenwärtigen gesetzlichen Schutzmaßnahmen werden sowohl in der politischen Arena als auch in der breiten Öffentlichkeit kritisch hinterfragt. Es ist daher von herausragender Bedeutung, durch interdisziplinäre Forschung schlüssige Antworten auf diese Fragen zu erhalten. Vor diesem Hintergrund ist eine permanente Vernetzung der involvierten Disziplinen zwingend notwendig. Es wird allerdings nicht möglich sein, die gegenwärtigen Probleme wie die Krise des Patentsystems kurzfristig zu lösen. Die Herausforderung besteht in erster Linie darin, eine neue Generation von Wissenschaftlern auszubilden, welche über die Fähigkeit verfügt, diese Probleme durch die Anwendung eines interdisziplinären Forschungsansatzes anzugehen.

Interdisziplinarität in der ökonomischen und rechtlichen Analyse der Immaterialgüterrechtsdurchsetzung

Die Hauptziele des Schutzes geistigen Eigentums sind Innovations- und Wettbewerbsförderung. Diese Ziele können nur erreicht werden, wenn die Schutzrechte derart ausgestaltet werden, dass sie sowohl die Schutzbreite als auch die Komplexität des Rechtssystems zum Schutze geistigen Eigentums berücksichtigen. Die daraus resultierenden Schutzrechte können wiederum ihr gesamtes Einflusspotenzial auf die Marktteilnehmer nur dann entfalten, wenn sie auch durchgesetzt werden. Zudem wird die tatsächliche Wirkung eines Schutzrechtes erst nach seiner Durchsetzung sichtbar. Daher ist die Untersuchung von Sanktionen und Rechtsdurchsetzungsmechanismen und der Art und Weise, wie diese in der Rechtspraxis gehandhabt werden, eine wichtige Grundlage, um Defizite und Unausgewogenheiten innerhalb des Schutzrechtssystems aufzudecken.

Einerseits wird in diesem Zusammenhang zwar häufig betont, dass die Ziele des Gesetzgebers nicht erreicht werden können, wenn Rechtsverletzungen in der Praxis nicht angefochten werden oder wenn der Geschädigte nicht für den durch die Rechtsverletzungen verursachten Schaden entschädigt wird. Andererseits ist es aber ebenso wichtig festzuhalten, dass Defizite des Rechtsschutzsystems auch dadurch entstehen können, dass Rechteinhaber ihre Ansprüche missbräuchlich durchsetzen, um legalen Wettbewerb einzuschränken. Die angestrebten Ziele eines angemessen ausbalancierten Rechtsschutzsystems bleiben erfolglos, wenn Rechteinhaber Durchsetzungsmittel einsetzen, um konkurrierende Marktteilnehmer einzuschüchtern und dadurch den Wettbewerb einzuschränken. In diesem Fall systematisch instrumentalisierter Marktmacht erreicht der Schutz geistigen Eigentums ein vom Gesetzgeber nicht beabsichtigtes Niveau.

Neben den rein technischen Fragen, wie Schutzrechtsverletzungen aufgedeckt und wie die Schutzrechtsverletzer identifiziert werden können, gibt es eine Reihe rechtlicher und ökonomischer Fragen, die eng miteinander verwoben sind. Beispielsweise besteht ein Zusammenhang zwischen dem Schaden, der ganzen Volkswirtschaften sowie einzelnen Unternehmen durch Schutzrechtsverletzungen entsteht, und der Notwendigkeit, Sanktionen und Maßnahmen einzuführen oder zu verstärken, um sicherzustellen, dass die Gesetze eingehalten werden. Sowohl die Tagespresse als auch rechtswissenschaftliche Texte zitieren regelmäßig Schadenszahlen, die die enormen Verluste durch illegale Kopien belegen sollen. Diese Zahlen werden selten kritisch betrachtet. Außerdem gibt es keine verlässlichen Daten zur Höhe des volkswirtschaftlichen Schadens durch Klagen von besonders mächtigen Schutzrechtsinhabern gegen ihre Wettbewerber. Letztere beugen sich einer ungerechtfertigten Abmahnung meist nur, weil sie nicht über die finanziellen Mittel verfügen, um den Rechtsstreit vor Gericht klären zu lassen. Sind verlässliche Schätzungen des volkswirtschaftlichen Schadens in diesen beiden Fällen überhaupt möglich? Wie werden die Reaktionen der Marktteilnehmer durch Sanktionen gegen Schutzrechtsverletzer und durch Sanktionen gegen die, die ungerechtfertigt Klage erhoben haben, beeinflusst? Sind die auferlegten Sanktionen angemessen, um beide Seiten zu optimalem und gesetzestreuem Verhalten zu veranlassen?

Diese Beispiele zeigen, dass es keine allgemeingültigen Antworten für die Schutzrechteproblematik gibt. Nötig ist ein Ansatz, der die ökonomische Struktur von Märkten differenziert betrachtet und die sektorspezifischen rechtlichen Probleme untersucht. Die pharmazeutische Industrie sowie die Unterhaltungs-, Maschinenbau- und Informationstechnologieindustrie bieten sich für eine derartige Analyse an.

Forschungsaktivitäten der International Max Planck Research School for Competition and Innovation (IMPRS-CI) als Reaktion auf aktuellen Forschungsbedarf

Ausgehend von den Vereinigten Staaten hat sich die ökonomische Analyse des Immaterialgüterrechts inzwischen als Forschungsrichtung etabliert und seit den Achtzigerjahren auch in Deutschland Fuß gefasst [5]. Dabei wurden eine Reihe von Immaterialgüterrechtlichen Fragestellungen der ökonomischen Analyse unterworfen, wobei insbesondere das Patentrecht im Zentrum der Forschungsaktivitäten stand. Querschnittsfragen wie die der Rechtsdurchsetzung im Immaterialgüterrecht wurden dagegen lange Zeit nur stiefmütterlich behandelt. Sie sind nun in den Fokus der Forschungen der International Max Planck Research School for Competition and Innovation (IMPRS-CI) gerückt.

Innerhalb dieses Themenbereichs wird das Verhalten von Patentinhabern und Patentverletzern erforscht und wie es sich auf Patentwerte sowie die Innovationsbereitschaft auswirkt. Auch Fragen des Schadensersatzes und einstweiliger Verfügungen gehören dazu. Darüber hinaus sollen die formellen Aspekte der Immaterialgüterrechtsdurchsetzung untersucht werden.

Ganz allgemein bietet die ökonomische Analyse des Rechts neben soziologischen, philosophischen, rechtsdogmatischen und philologischen Analysemethoden eine zusätzliche Verfeinerung der Untersuchungsmethoden des Rechts. Sie umfasst die Erforschung der wirtschaftlichen Auswirkungen des Rechts bis hin zur Überprüfung der Verteilungsfolgen von Rechtsetzungen [4]. Im Bereich des Immaterialgüterrechts dient die ökonomische Analyse des Rechts dem Ziel, die Wirkungen der rechtlichen Regeln zum Schutze geistigen Eigentums zu analysieren und diese Folgen des Rechtsschutzes danach zu bewerten, ob sie unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Wohlfahrtsökonomik einem ökonomischen Effizienzkriterium genügen.

Die ökonomische Analyse der Rechtsdurchsetzung markiert den Auftakt einer stärker wirtschaftswissenschaftlich geprägten Forschung, die sowohl der Ökonomisierung des Immaterialgüterrechts als auch des Wettbewerbsrechts Rechnung trägt. Dabei geht dieser Ansatz weit über Probleme der Rechtsdurchsetzung hinaus und reicht bis zu Fragen des materiellen und formellen Immaterialgüterrechts. Geplant sind eine detaillierte rechtliche und ökonomische Analyse von Innovation und Patentrechtsschutz, von Kreativität und Urheberrecht, von unlauterem Wettbewerb und Markenrecht sowie von Markttransparenz und Wettbewerbsrecht. Mittel- und langfristiges Ziel ist es, einen Rechtsrahmen für Immaterialgüterrechtsschutz und Wettbewerbsrecht zu entwickeln, der den neuesten ökonomischen Erkenntnissen Rechnung trägt.

Originalveröffentlichungen

H.-B. Schäfer, C. Ott:
Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts.
Springer, Heidelberg 2005, 617.
P. Menell, S. Scotchmer:
Intellectual Property Law.
In: Handbook of Law and Economics. (Hg.) A. M. Polinsky und S. Shavell. North-Holland: Amsterdam 2007.
S. Scotchmer:
Innovation and Incentives.
MIT Press, Cambridge, MA, 2006.
R. Posner:
Economic Analysis of Law.
7. Auflage. Aspen Publishers: New York 2007.
R. Kirstein:
Law and Economics in Germany.
In: Encyclopedia of Law and Economics, Vol. 1, No. 0330. (Hg.) B. Bouckaert und G. de Geest. E. Elgar: Cheltenham 2000, 160–227.
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