Nemesis ist ein Mythos

Max-Planck-Astronom widerlegt Behauptung, die Erde werde periodisch von Asteroiden oder Kometen getroffen

1. August 2011

Aus dem All droht Ungemach: Asteroiden oder Kometen bedrohen unseren Planeten. Im Lauf der Erdgeschichte hat es immer wieder kosmische Katastrophen gegeben. Mehrere Studien behaupten, dass die Wahrscheinlichkeit für ein solches Bombardement im Laufe der Jahrmillionen periodisch zu- und abnimmt. Doch dieser Effekt ist nicht real, sondern beruht auf statistischen Artefakten. Zu diesem Ergebnis kommt Coryn Bailer-Jones vom Max-Planck-Institut für Astronomie. Demnach ist die Wahrscheinlichkeit eines größeren Einschlags entweder gleich geblieben oder hat während der vergangenen 250 Millionen Jahre leicht zugenommen.

Gigantische Einschläge von Kometen oder Asteroiden werden mit mehreren Episoden massenhaften Aussterbens in Verbindung gebracht – etwa mit dem Exitus der Dinosaurier, die es vor 65 Millionen Jahren getroffen haben soll. Fast 200 Krater auf der Erdoberfläche, einige davon Hunderte von Kilometern im Durchmesser, sind uns als Zeugen kosmischer Zusammenstöße erhalten geblieben.

Die Frage danach, ob sich die Einschlagwahrscheinlichkeit auf der Erde mit der Zeit verändert, ist nicht nur von theoretischem Interesse. Diese Information benötigen wir, um die Gefahr abschätzen zu können, die der Erde derzeit von katastrophalen kosmischen Einschlägen droht.

Seit Mitte der 1980er-Jahre haben eine Reihe von Autoren behauptet, periodische Variationen der Einschlagwahrscheinlichkeit gefunden zu haben. Aus den Kenndaten der auf der Erdoberfläche bekannten Krater – wichtig sind vor allem die Altersabschätzungen –, leiten sie ein regelmäßiges Muster ab, in dem die Einschlagwahrscheinlichkeit über Millionen Jahre hinweg periodisch zu- und wieder abnimmt; die Werte variieren dabei zwischen 13 und 50 Millionen Jahren.

Einer der Mechanismen, die für solch periodische Variationen vorgeschlagen wurden, ist die Bewegung unseres Sonnensystems relativ zur Scheibenebene unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße. Bei dieser Bewegung verändert sich der (sehr geringe) Schwereeinfluss, den die umliegenden Sterne auf die Objekte in der Oort'schen Wolke ausüben – einer gigantischen Ansammlung riesiger Brocken aus Eis und Staub, die das Sonnensystem im Abstand von rund einem Lichtjahr umhüllt. Aufgrund dieser Veränderungen verlassen einmal mehr, dann wieder weniger Objekte die Oort'sche Wolke und machen sich als Kometen auf den Weg in das innere Sonnensystem.

Spektakulärer ist die Annahme, unsere Sonne besäße einen bisher noch nicht direkt nachgewiesenen Begleitstern, der auf den Namen Nemesis getauft wurde. Nemesis, benannt nach der griechischen Rachegöttin, läuft auf einer lang gestreckten (exzentrischen) Umlaufbahn, die sie mit der Zeit immer wieder in die Nähe der Oort'schen Wolke führen und dadurch wiederum die Anzahl der Kometen beeinflussen würde, die Kurs auf die Erde nehmen.

Für Coryn Bailer-Jones vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Astronomie weisen diese Ergebnisse freilich nicht auf bisher unentdeckte kosmische Phänomene hin, sondern auf subtile Probleme bei der Anwendung herkömmlicher („frequentistischer“) Statistik. „Die Menschen neigen dazu, Muster zu sehen, die gar nicht existieren. Und in manchen Situationen kann traditionelle Statistik den Anwender leider in dieselbe falsche Richtung führen“, sagt der Wissenschaftler.

Bailer-Jones wählte daher eine andere Methode, Wahrscheinlichkeiten zu berechnen: die sogenannte Bayes'sche Statistik, mit der sich bei der Analyse der Kraterdaten die Probleme der traditionellen Statistik vermeiden lassen. Seine Untersuchung konnte einfache periodische Variationen anhand der verfügbaren Daten mit großer Sicherheit ausschließen. Stattdessen zeigen die Daten eine allgemeine Tendenz: Von vor rund 250 Millionen Jahren bis zur Jetztzeit hat die Einschlagwahrscheinlichkeit, abgeschätzt anhand der zu verschiedenen Zeiten entstandenen, heute noch nachweisbaren Krater, stetig zugenommen. Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen.

Erstens könnte es sich schlicht um einen Auswahleffekt handeln. Kleinere Krater erodieren schneller und sind nach einer gewissen Zeit nicht mehr auffindbar. Und ältere Krater haben generell mehr Zeit zu erodieren und sich wieder mit Material zu füllen als jüngere. Mit anderen Worten: Die nachgewiesene Tendenz kann schlicht darauf beruhen, dass wir größere, jüngere Krater einfacher nachweisen können als kleinere, ältere. „Wenn wir nur Krater betrachten, die größer als 35 Kilometer und jünger als 400 Millionen Jahre sind und bei denen die Erosion daher eine geringere Rolle spielt, finden wir keine solche Tendenz“, sagt Coryn Bailer-Jones.

Andererseits könnte zumindest ein Teil des Anstiegs real sein. Es gibt Untersuchungen an Einschlagkratern auf dem Mond, die einen ähnlichen Trend zeigen. Dort spielen die auf der Erde vorherrschenden Erosionsmechanismen keine Rolle.

Was immer sich als Grund für den in den Daten sichtbaren Trend herausstellen mag – einfache periodische Variationen wie im Nemesis-Modell lassen sich anhand von Bailer-Jones' Analyse ausschließen: „Die Kraterdaten, die wir haben, geben keine Hinweise auf die Existenz von Nemesis. Was bleibt ist die interessante Frage, ob die Einschlagwahrscheinlichkeit über die vergangenen 250 Millionen Jahre zugenommen hat oder nicht“, so der Max-Planck-Forscher.

HOR / MP

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