Einblicke in die Nervenzellaktivität tiefer Schichten der Großhirnrinde

Max-Planck-Wissenschaftler beobachten die Informationsverarbeitung im Gehirn mithilfe einer neuen Methode der Multi-Photonen-Fluoreszenzmikroskopie

13. Juli 2011

Objekte, die wir sehen oder berühren, werden durch komplexe Interaktionen der Nervenzellen im Gehirn in eine Wahrnehmung umgesetzt. Wie die Nervenzellen bei diesen Prozessen oder auch bei einer Entscheidungsfindung räumlich und zeitlich aktiv werden, ist noch nicht aufgeklärt. Wissenschaftler an den Max-Planck-Instituten für biologische Kybernetik in Tübingen und für Medizinische Forschung in Heidelberg haben nun eine neue Methode entwickelt, mit der sie die Aktivität von Nervenzellen in den tiefsten Schichten der Großhirnrinde beobachten können. Dies war bisher nicht möglich.

Die Großhirnrinde (Kortex) ist die äußerste, nervenzellreiche Lage im Säugetiergehirn. Er spielt eine zentrale Rolle beim Erinnerungsvermögen und dem Bewusstsein und nimmt auch die Sinneseindrücke von äußeren Reizen, wie Bildern, Berührungen oder Gerüchen auf und verarbeitet sie weiter. Wie genau diese Informationsverarbeitung funktioniert, ist jedoch noch unbekannt. Jason Kerr, Leiter der Arbeitsgruppe „Bildgebung Neuronaler Populationen“ am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen, und seine Teamkollegen, Wolfgang Mittmann, Damian Wallace und Uwe Czubayko, haben es nun geschafft, die Aktivität vieler Nervenzellen gleichzeitig abzubilden. Die Forscher drangen dabei doppelt so tief wie bisher in den Kortex ein und konnten die Darstellung bis zur einzelnen Zelle auflösen. In Kooperation mit Winfried Denk, Direktor der Abteilung „Biomedizinische Optik“ am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg, und Wissenschaftlern des Howard Hughes Medical Institute in Ashburn, Virginia haben sie die Nervenzellaktivität in der vorletzten der sechs Kortexschichten, der L5-Schicht, in lebenden Nagern untersucht.

Bisher war es nur möglich, Zellen im oberen Drittel der Großhirnrinde zu untersuchen – in den Schichten L2 und L3. Tiefere Schichten konnten nur mithilfe von Elektroden oder anderen invasiven Methoden untersucht werden. Die Max-Planck-Wissenschaftler haben nun eine Methode weiter entwickelt, mit der sie bis zu einem Millimeter unter der kortikalen Oberfläche genau sehen können, welche Zelle bei einem Reiz aktiv ist und, was noch wichtiger ist, welche Zelle bei einem Reiz nicht reagiert. „Wir markieren die interessanten Nervenzellen mithilfe eines genetisch kodierten Aktivitätsreporters, eines Fluoreszenzfarbstoffs, um die Aktivität vieler Zellen gleichzeitig untersuchen zu können“, erklärt Jason Kerr. Bei steigender Aktivität einer Nervenzelle leuchtet auch der Farbstoff heller. Jason Kerr und sein Team kombinierten diese Fluoreszenzmarkierung mit einer speziellen Methode der Multi-Photonen-Mikroskopie (regenerative amplification multiphoton microscopy – RAMM). Auf diese Weise können sie bis in die tiefen Schichten L5a und L5b der Großhirnrinde sowohl spontane als auch durch Reize ausgelöste Reaktionen der Nervenzellnetzwerke aufnehmen und quantifizieren.

Ziel der Forschung ist, die Zellaktivität von Nervenzellnetzwerken in der ganzen Großhirnrinde, von Schicht 6 bis 1 zu dokumentieren.. Die neu entwickelte Methode soll daraufhin  in Experimenten mit Tieren eingesetzt werden, die gelernt haben, verschiedene Objekte zu unterscheiden. Außerdem wollen die Forscher untersuchen, ob sich die tieferen Schichten des Großhirns während eines Lernprozesses in ähnlicher Weise neu organisieren wie die oberen Schichten. Die Forscher erhoffen sich insgesamt neue Einblicke in die Steuerungskreise im Großhirn wacher Tiere.

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