Furcht vor dem Pranger fördert Gemeinsinn

Sowohl Angst vor Gesichtsverlust als auch Aussicht auf Anerkennung motivieren zu kooperativem Verhalten

Im Mittelalter war der Pranger ein wirksames Mittel, Fehlverhalten zu bestrafen. Öffentliches Bloßstellen hat aber bis heute seine disziplinatorische Wirkung behalten. Dass der persönliche Ruf mehr Wert sein kann als mögliche finanzielle Vorteile, belegt eine Studie von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Evolutionsbiologie in Plön und der University of British Columbia in Kanada. Demnach verhalten sich die Spieler in so genannten Gemeinwohl-Spielen kooperativer, wenn besonders positives oder besonders negatives Verhalten öffentlich wird. Positive wie negative Beurteilung durch Mitmenschen bestimmen also menschliches Verhalten maßgeblich mit.

Die Verhaftung des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post oder der Auftritt des Chefs des Internationalen Währungsfonds vor Gericht - die Vorführung von Prominenten vor laufenden Kameras liefert einprägsame Bilder. Von manchen als Vorverurteilung durch die Medien kritisiert, wurde der Ruf der Betroffenen durch diese öffentliche Demütigungen nachhaltig beschädigt.

Möglicherweise ist die abschreckende Wirkung solcher Aufnahmen größer als die Angst vor den strafrechtlichen Folgen. Denn wie wichtig Begriffe wie „Schande“ und „Ehre“ für menschliches Handeln sind, zeigt eine die Analyse eines Gemeinwohl-Spiels mit rund 180 Studienanfängern, das die deutschen und kanadischen Wissenschaftler entwickelt haben. In solchen Spielsituationen beobachten Forscher beispielsweise, unter welchen Bedingungen Menschen sich kooperativ verhalten. In der nun untersuchten Variante konnten die Teilnehmer in mehreren aufeinanderfolgenden Runden wählen, wie viel sie von einem ihnen zur Verfügung gestellten Geldbetrag für sich selbst behalten oder in einen Gruppentopf einbezahlen wollten – ohne dass dies den übrigen Teilnehmern bekannt wurde. Am Ende wurde der Betrag des gemeinsamen Topfes verdoppelt und gleichmäßig unter den Studenten verteilt, egal, wie viel der einzelne dazu beigetragen hatte – zusätzlich zu dem Betrag, den sie für sich behalten hatten.

Solange keiner über das Verhalten der übrigen Teilnehmer des Gemeinwohl-Spiels Bescheid wusste, profitierten die „Egoisten“, die nur wenig in den Gemeinschaftstopf einbezahlten, vom Gemeinsinn der anderen: So zahlten die Spieler von möglichen 72 kanadischen Dollar nur 22 Dollar in den gemeinsamen Topf ein. Mit einer kleinen, aber entscheidenden Änderung gelang es den Wissenschaftlern, den Gemeinsinn zu steigern. Alle Spieler wussten, dass kurz vor Ende des Spiels die zwei Teilnehmer, die zu diesem Zeitpunkt am wenigsten – oder am meisten – Geld in den Gemeinschaftstopf einbezahlt hatten, vor der Gruppe ihre Namen auf eine Tafel schreiben würden unter: „Ich habe am wenigsten/meisten beigetragen.“ Nun stieg die Summe im Topf auf rund 33 Dollar.

Ein positiver persönlicher Leumund kann Menschen also zu mehr Kooperation bewegen. „Unsere Studie zeigt, dass die Bloßstellung als vermeintlicher Egoist dabei genauso eine treibende Kraft ist wie die Ehrung als Altruist. Sowohl Scham über das eigene Fehlverhalten als auch Stolz können also den Gemeinsinn fördern“, sagt Arne Traulsen vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie.

In den USA ist dieser Effekt in vielen Bundesstaaten schon Teil der Strafe. So werden die Namen von überführten Steuersündern im Internet veröffentlicht. Umgekehrt werben beispielsweise Unternehmen mit ihrer Unterstützung gemeinnütziger Organisationen und nutzen so deren positive Image für ihre Produkte. Die Furcht vor öffentlicher Blamage und die Aussicht auf Ehrung ist demnach eine wirkungsvolle Strategie, Menschen zu mehr Gemeinsinn zu bewegen. „Eine solche Kombination aus negativem und positivem öffentlichen Druck könnte bei Problemen helfen, die nur mit viel Gemeinsinn gelöst werden können, wie der Klimawandel“, sagt Manfred Milinski vom Max-Planck-Institut in Plön.

HR

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