Verantwortungsvolle biomedizinische Forschung kann auf Tierversuche nicht gänzlich verzichten

Stellungnahme des Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft zur Einführung eines Verbandsklagerechts für Tierschutzvereine

12. Mai 2011

Es würde eine ganze Bücherreihe erfordern, um die Leistungen der tierexperimentellen Forschung für die Medizin aufzuzählen, aber zumindest einige Beispiele möchte ich nennen. Der ein oder andere mag sich noch an den Slogan erinnern „Schluckimpfung ist süß - Kinderlähmung ist grausam“. Erst mit der Möglichkeit der Impfung gegen Polio hat diese Krankheit für uns ihren Schrecken verloren. Ende des 19. Jahrhunderts waren noch jährlich tausende Menschen betroffen, darunter vor allem Kinder, die daran verstarben oder dauerhaft mit körperlichen Folgeschäden leben mussten. Neben einer Vielzahl von Impfstoffen wäre auch der Einsatz von Antibiotika gegen mikrobielle Krankheitserreger ohne tierexperimentelle Forschung nicht vorstellbar. Und auf die Errungenschaften der Medizintechnik von der Bluttransfusion über die Organtransplantation bis hin zur Operation am offenen Herzen, koronare Bypass-Operationen oder das Einsetzen künstlicher Herzklappen müssten wir heute ebenfalls verzichten.

Die aktuelle Forschung an Tieren gibt zahlreichen Menschen Hoffnung, die an Krankheiten wie Krebs, Diabetes, verschiedenen Infektionskrankheiten, AIDS, Mukoviszidose, Parkinson, Amyotropher Lateralsklerose (ALS) oder Alzheimer leiden. Sie ist wichtig und dient dem Wohl der Menschen. Wo immer möglich, werden Tierversuche durch Alternativmethoden ersetzt. Und so hat die Entwicklung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden in der Forschung einen hohen Stellenwert. Alle deutschen Wissenschaftsorganisationen, einschließlich der Max-Planck-Gesellschaft, unterstützen aktiv das Ziel, Tierversuche soweit wie möglich zu reduzieren. Trotzdem müssen wir auch akzeptieren, dass Fragen zu komplexen systemischen Eigenschaften eines Organismus nicht an isolierten Geweben oder mit Hilfe von Computersimulationen untersucht werden können. Ohne Tierversuche kann daher das Potenzial der biomedizinischen Forschung, schwere Krankheiten behandelbar und damit erträglicher – unter Umständen eines Tages sogar heilbar zu machen –, nicht realisiert werden.

Immer wieder drängen Tierschützer auf die Einführung eines Verbandsklagerechts für Tierschutzvereine auf Bundes- bzw. Landesebene, da aus ihrer Sicht die Verankerung des Tierschutzes als Staatsziel im Grundgesetz (Grundgesetzerweiterung § 20a GG) allein nicht ausreichend ist, um einen umfassenden Tierschutz zu gewährleisten. Die rot-grüne Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat nun im Kabinett einen Gesetzentwurf für ein Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine verabschiedet. Das Parlament soll sich nach Anhörung der Verbände im Herbst mit dem Gesetzentwurf befassen. Auch die Koalitionsfraktionen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz verfolgen ähnliche Ziele. Die Initiativen der Tierschutzverbände zielen darauf ab, ihnen ein Klagerecht einzuräumen, damit sie die Belange des Tierschutzes aus ihrer Sicht „nachhaltig“ vertreten können. Ein zentrales Argument in diesem Zusammenhang ist ein postuliertes Vollzugsdefizit bei tierschutzrechtlichen Verfahren. Damit werden die zuständigen Behörden unausgesprochen dem Vorwurf der Untätigkeit ausgesetzt.

Für die Durchsetzung des Tierschutzgesetzes bedarf es zusätzlich zur bestehenden Gesetzeslage keiner Verbandsklage. Das deutsche Tierschutzgesetz gilt heute schon weltweit als eines der strengsten. Damit sind im Bereich der tierexperimentellen Forschung rechtlich klare und ausreichende Bestimmungen zur Gewährleistung des Tierschutzes vorgegeben. Das Gesetz definiert genau, was ein Tierversuch ist und unter welchen Umständen und vom wem er durchgeführt werden darf. Es sieht darüber hinaus eine sorgfältige Prüfung jedes einzelnen Tierversuchs vor. Das garantiert eine verantwortungsvolle Abwägung zwischen der Bedeutung der Versuchsziele für die Wissenschaft und für die Gesundheit des Menschen auf der einen und den Belastungen der Tiere auf der anderen Seite. In Deutschland sind – auch ohne ein Verbandsklagerecht der Tierschutzverbände – nur Tierversuche genehmigungsfähig, die unabdingbar und ethisch vertretbar sind. Nach § 15 Tierschutzgesetz wirken die Tierschutzverbände bereits jetzt bei der Genehmigung von Tierversuchen in den Kommissionen mit, weshalb ein Verbandsklagerecht in diesem Bereich auch sachlich nicht zu begründen ist.

Bereits im Jahr 2004 hat der Bundesrat einen Antrag auf Einführung der bundesweiten Verbandsklage für Tierschutzvereine mit großer Mehrheit abgelehnt, weil man die bestehenden gesetzlichen Regelungen zur Gewährleistung des Tierschutzes in Deutschland für ausreichend hielt. Die Länder folgten dabei einer Einschätzung ihrer Länderreferenten für Tierschutz, die bereits im Juni 2003 auf einer gemeinsamen Sitzung in Bonn mehrheitlich zu dem Schluss gekommen waren, dass die Verbandsklage der Durchführung eines verbesserten Tierschutzes nicht zum Ziel verhilft. An dieser Einschätzung hat sich aus meiner Sicht nichts geändert.

Die Einführung der Verbandsklage für Tierschutzverbände würde für die tierexperimentelle Forschung gravierende Erschwernisse mit sich bringen. Denn nach Einreichung einer Klage muss ein Versuch sofort beendet und zunächst beurteilt werden – er könnte gegebenenfalls erst nach Jahren wieder aufgenommen werden. Wiederholte Äußerungen von Tierversuchsgegnern verdeutlichen, dass das Verbandsklagerecht als gezieltes Instrument eingesetzt werden soll, um Tierversuche in der biomedizinischen Grundlagenforschung durch langwierige Gerichtsprozesse zu verschleppen oder zu verhindern. Betroffene Forscher wären wohl in nicht wenigen Fällen gezwungen, sich notgedrungen nach einem besseren Standort für ihre wissenschaftlichen Arbeiten umzusehen. Innovative Grundlagenforschung und die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses im Bereich der Biomedizin würden – so steht zu befürchten – stark behindert. Deutschland würde in seiner Bedeutung als zuverlässigem und international wettbewerbsfähigem Wissenschafts- und Forschungsstandort schwerer Schaden zugefügt.

Aus diesen Gründen lehnt die Max-Planck-Gesellschaft die Einführung eines Verbandsklagerechts für Tierschutzvereine sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene entschieden ab und fordert die betroffenen Landesregierungen auf, ihre dahingehenden Pläne zu revidieren und damit sowohl national als auch international ein positives Signal für den Wissenschaftsstandort Deutschland zu setzen.

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht