Forschungsbericht 2007 - Max-Planck-Institut für Kernphysik

Relativistische Quantendynamik in ultrastarken Laserfeldern

Relativistic Quantum Dynamics in Ultra-Strong Laser Fields

Autoren
Müller, Carsten; Bauer, Dieter; Hatsagortsyan, Karen Z.; Feuerstein, Bernold; Keitel, Christoph H.
Abteilungen

Theoretische Quantendynamik (Prof. Dr. Christoph Keitel)
MPI für Kernphysik, Heidelberg

Zusammenfassung
Getrieben von ultrastarken Laserfeldern können geladene Teilchen auf relativistische Energien beschleunigt werden und diese in atomaren Stößen in verschiedener Form – z. B. als Röntgenstrahlung mit Laserqualität – wieder abgeben. Dies eröffnet Möglichkeiten für zukünftige Strahlungsquellen wie auch einen neuen Zugang zu Fragen der Kern- und Teilchenphysik. Der folgende Beitrag berichtet über neuere theoretische Studien auf diesem Gebiet.
Summary
Charged particles driven by ultra-strong laser fields can be accelerated up to relativistic energies. The energy can be released in atomic collisions in form of X-rays with laser quality. This opens a way towards future radiation sources and open questions in nuclear and particle physics. The following article reports on recent theoretical studies in this research field.

Bei der Interaktion von intensiven Laserfeldern mit Materie spielt das Verhalten der Elektronen eine wichtige Rolle, da diese als leichte geladene Teilchen stark an das äußere Feld koppeln und auf diese Weise effizient aus diesem Energie aufnehmen. Von besonderem Interesse ist dabei in atomaren und molekularen Systemen die so genannte Rekollision, wenn ein durch Feldionisation freigesetztes Elektron durch das oszillierende Feld zu seinem Ausgangsort zurückgetrieben wird und dort die aufgenommene Energie in verschiedener Form umsetzt (Mehrfachionisation, Erzeugung kohärenter hochfrequenter Strahlung) [1]. Laserpulse als „Werkzeug“ bieten den Vorteil einer relativ einfachen Kontrolle der relevanten Parameter wie Intensität, Polarisation, Pulsdauer und -form. Dies eröffnet wiederum die Möglichkeit, mittels geeigneter Laserpulse atomare und molekulare Prozesse der oben beschriebenen Art gezielt zu manipulieren. In diesem Beitrag werden beispielhaft theoretische Studien aus der Abteilung von Christoph Keitel am Max-Planck-Institut für Kernphysik vorgestellt, welche die Rekollisionsdynamik von Elektronen in ultrastarken Laserfeldern behandeln. Motivation ist hier unter anderem, dass die Rekollisionsenergie nicht auf einfache Weise mit entsprechend höherer Laserintensität gesteigert werden kann, sondern relativistische Effekte zu berücksichtigen sind, sobald die Geschwindigkeit der Elektronen gegenüber der Lichtgeschwindigkeit nicht mehr vernachlässigbar klein ist [2]. Heutzutage stehen Lasersysteme mit Pulsintensitäten bis zu 1022 W/cm2 zur Verfügung, welche im Prinzip Elektronen auf hochrelativistische Energien im GeV-Bereich beschleunigen können.

Das Elektron als „Bumerang“ im Laserfeld

Der einfachste Fall der klassischen Bewegung eines geladenen punktförmigen Teilchens in einem linear polarisierten Laserfeld ist am Beispiel der Feldionisation eines Heliumatoms in Abbildung 1a illustriert: Die beiden Elektronen sind anfänglich im elektrostatischen Coulomb-Potenzial gebunden, das in der hier auf zwei Raumdimensionen reduzierten Darstellung als „Trichter“ in einer ebenen Potenzialfläche erscheint. Das elektrische Feld des Lasers (angedeutet durch die gelbe Sinuslinie) bewirkt eine Kippung der Ebene, welche mit der Laserfrequenz hin und her schwankt. Ein durch Feldionisation kurz nach dem Maximum des Feldes freigesetztes Elektron wird daher zunächst vom Atom weg, dann aber wieder zu diesem zurückgetrieben und kann dort z. B. weitere Elektronen herausschlagen – ein wesentlicher Mechanismus für Mehrfachionisation in starken Laserfeldern [3, 4]. Ein anschauliches Maß für die Energie des Elektrons im Laserfeld ist die so genannte „ponderomotive Energie“ Up, welche der mittleren Bewegungsenergie des hin und her oszillierenden Teilchens entspricht. Die maximale Energie bei der Rekollision beträgt 3,17 Up.

Kann die (eindimensionale) lineare Bewegung des Elektrons im Laserfeld allein noch leicht berechnet werden, führt schon die Einbeziehung der Wechselwirkung mit dem Ion zu Komplikationen, welche numerische Lösungswege erfordern. Erst recht gilt dies für den Fall höherer Laserintensitäten, wenn die Wechselwirkung des bewegten Elektrons mit der magnetischen Komponente des Laserfeldes (Lorentzkraft) spürbar wird. Zu der Bewegung entlang des elektrischen Feldes tritt dann noch eine Drift in Ausbreitungsrichtung des Lichtes, was als Effekt des „Lichtdrucks“ interpretiert werden kann (Abb. 1b) [2]. Hinzu kommt die Tatsache, dass Elektronen Quantenobjekte sind und daher der Unbestimmtheit von Ort und Impuls unterliegen. Anstelle einer lokalisierten klassischen Bahn tritt daher ein so genanntes Wellenpaket, welches über einen gewissen Raumbereich „verschmiert“ ist und keine scharf definierte Geschwindigkeit mehr aufweist. Für den nichtrelativistischen Fall muss dann z. B. die Schrödinger-Gleichung numerisch gelöst werden, bei relativistischen Geschwindigkeiten die Dirac-Gleichung, was hinsichtlich der benötigten Rechnerleistung eine nicht geringe Herausforderung darstellt. Hier ist es unter anderem von Interesse, welche Näherungsverfahren zur Beschleunigung der Rechnungen sinnvoll eingesetzt werden können.

Die erwähnte Driftbewegung infolge des „Lichtdrucks“ stellt ein Hindernis dar, wenn man durch höhere Intensität des Lasers die Rekollisionsenergie steigern möchte, denn das Elektron würde von seinem Mutterion weggetrieben werden. Es gibt nun verschiedene Ansätze, diesem Effekt zu begegnen, von denen einige im Folgenden diskutiert werden.

Zwei auf einen Streich: Doppelte Rekombination

Ein Elektron kann bei der Rekollision seine Energie in Form kurzwelliger Strahlung abgeben, wenn es abgebremst wird oder im Extremfall mit dem Mutterion rekombiniert. Da der Elektronenbewegung die Oszillation des treibenden Feldes aufgeprägt ist, wird die Strahlung in Form von höheren Harmonischen der Laserfrequenz abgegeben. Höhere Harmonische finden inzwischen vielseitige Anwendung, so zur Erzeugung von kohärenter UV-Strahlung mit ultrakurzen Pulslängen bis in den Bereich von Attosekunden. Die maximale Energie der Strahlung ist für ein einzelnes Elektron durch die Summe aus Bewegungsenergie und Bindungsenergie (Ionisationspotenzial Ip) des Elektrons gegeben Emax = Ip + 3,17 Up. Gelänge es, zwei Elektronen nacheinander durch Feldionisation freizusetzen und dann simultan vom Ion einfangen zu lassen, so könnten höhere Harmonische bis zu 2∙3,17 Up + Ip(1) + Ip(2) erzeugt werden, wobei Ip(1) und Ip(2) den beiden Ionisationsstufen entsprechen. Abbildung 2 zeigt das zeitabhängige Spektrum der emittierten Strahlung aus einer theoretischen Studie, in welcher die Schrödinger-Gleichung für ein Modell-Heliumatom numerisch gelöst wurde [5]. Über zwei Perioden um die Mitte des Laserpulses herum findet man die erwartete Strahlung aus der Rekombination eines einzelnen Elektrons sowie – wenn auch deutlich schwächer (man beachte die logarithmische Farbskala) – die energetischere Strahlung aus der Zwei-Elektronen-Rekombination. Bemerkenswert ist die gute Übereinstimmung mit dem einfachen klassischen Modell (schwarze und weiße Linien). Die doppelte Rekombination kann auch als zeitumgekehrter Prozess der Doppelionisation durch ein einzelnes Photon betrachtet werden. Die Effizienz der Doppelrekombination ist ungefähr durch das Produkt der Einzeleffizienzen gegeben. Sie könnte signifikant erhöht werden, falls es gelänge, günstige Startzeiten (siehe Abb. 2) mittels intensiver UV-Attosekundenpulse auszuwählen.

Sonden für Kerneigenschaften: Myonische Atome

Eine Möglichkeit, aus dem Spektrum der höheren Harmonischen auf Eigenschaften des Atomkerns zu schließen, bieten myonische Atome. Hier ist das aktive Elektron durch das 208fach massivere Myon ersetzt. Aufgrund seiner wesentlich größeren Masse kommt ein Myon dem Atomkern wesentlich näher als ein Elektron und kann somit – angetrieben durch das Laserfeld – eine dynamische Sonde für die Kerneigenschaften darstellen. Zudem sind relativistische Effekte (Drift durch Lichtdruck) durch die langsamere Bewegung des schwereren Myons unterdrückt. Es konnte anhand eines Vergleichs von myonischen Deuterium- und Wasserstoffatomen gezeigt werden, dass im Spektrum der höheren Harmonischen die maximale Energie von der Kernmasse und die Ausbeute vom Kernradius abhängt [6].

Positronium im Laserfeld: Ein atomarer „Collider“

Ein wesentlicher Grund für das „Verfehlen“ der Rekollision bei relativistischen Energien ist die verschiedene Masse von Elektron und zurückbleibendem Ion. Ersteres nimmt eine um das Massenverhältnis größere Geschwindigkeit auf. Wählt man jedoch ein Atom aus Teilchen entgegengesetzter Ladung und gleicher Masse, so erfahren beide durch die Lorentzkraft dieselbe Drift in Ausbreitungsrichtung des Lasers. Ein solches „exotisches“ Atom ist z. B. das Positronium, bestehend aus einem Elektron und seinem (positiv geladenen) Antiteilchen, dem Positron. Die Lebensdauer des freien Positronium ist ausreichend lang, um eine größere Anzahl von Rekollisionen im Laserfeld zu erleben. Abbildung 3 illustriert die Bewegung der Wellenpakete für das Elektron-Positron-Paar im Laserfeld aus einer Modellrechnung [7]. Durch die identische Driftbewegung kommt es zu wiederholten Rekollisionen; das System stellt quasi einen Miniatur-Collider dar. Die Modellstudie sagt eine um mehrere Größenordnungen verbesserte Effizienz in der Erzeugung höherer Harmonischer gegenüber „konventionellen“ atomaren Targets voraus, allerdings zerfließen die Wellenpakete mit der Zeit, was die Dichte und damit die Stoßrate herabsetzt. Eine neuere Arbeit befasst sich mit Möglichkeiten, diesen Effekt zu kompensieren, indem z. B. zwei gegenläufige, gleichsinnig zirkular polarisierte Laserpulse überlagert werden [8]. Auf diese Weise könnte die Luminosität eines solchen atomaren Colliders durch die kohärente Natur der Wellenpakete gegenüber den aktuell effizientesten plasma-basierten Laserbeschleunigern erheblich gesteigert werden bei Energien von bis zu 100 GeV. Zwar konkurriert die betrachtete Methode noch nicht mit konventionellen Collidern (z. B. LEP) und es sind zur Realisierung noch technische Hindernisse zu überwinden, doch könnten solche lasergestützten Experimente in der Zukunft eine kostengünstigere und platzsparende Alternative im Gebiet der Hochenergiephysik darstellen.

Maßgeschneiderte Pulse

Die im vorigen Absatz geschilderte gezielte Überlagerung von Laserpulsen führt zur generellen Idee, mittels „maßgeschneiderter“ Pulse die Rekollisionsdynamik gezielt zu manipulieren, erwünschte Effekte zu verstärken und unerwünschte zu unterdrücken. Für relativistische Intensitäten wäre z. B. das Ziel, die magnetische Driftbewegung zu kompensieren. Hierzu wurden verschiedene Möglichkeiten in theoretischen Modellstudien untersucht: Stehende Wellen durch Überlagerung gegenläufiger Laserpulse (linear oder zirkular polarisiert) – hier verschwindet die Lorentzkraft entlang einer bestimmten Achse [9] – oder die Verwendung speziell angepasster Pulsformen. In einer jüngsten Arbeit wurde simuliert, wie zwei gegenläufige Attosekunden-Pulszüge die Trajektorie des Elektrons so umformen, dass es wieder zu seinem Mutterion zurückkehrt (Abb. 4) [10]. Auf diese Weise könnten Zeptosekunden-Gammapulse im MeV-Bereich erzeugt werden. Die Hauptschwierigkeit einer experimentellen Realisierung liegt in den kontrolliert geformten, hochintensiven Attosekunden-Pulsen. Fortschritte auf dem Gebiet der Wechselwirkung intensiver Laserfelder mit sehr dichten Plasmen lassen aber die Erzeugung intensiver Attosekundenpulse in der näheren Zukunft möglich erscheinen.

Originalveröffentlichungen

P. B. Corkum:
Plasma perspective on strong field multiphoton ionization.
Physical Review Letters 71, 1994 (1993).
G. R. Mocken, C. H. Keitel:
Quantum dynamics of relativistic electrons.
Journal of Computational Physics 199, 558 (2004).
S. Augst et al.:
Laser ionization of noble gases by Coulomb-barrier suppression.
Journal of the Optical Society of America B 8, 858 (1991).
B. Walker et al.:
Double ionization in the perturbative and tunneling regimes.
Physical Review A 48, R894 (1993).
P. Koval, F. Wilken, D. Bauer, C. H. Keitel:
Nonsequential Double Recombination in Intense Laser Fields.
Physical Review Letters 98, 043904 (2007).
A. Shahbaz, C. Müller, A. Staudt, T. J. Bürvenich, C. H. Keitel:
Nuclear Signatures in High-Order Harmonic Generation from Laser-Driven Muonic Atoms.
Physical Review Letters 98, 263901 (2007).
B. Henrich, K. Z. Hatsagortsyan, C. H. Keitel:
Positronium in Intense Laser Fields.
Physical Review Letters 93, 013601 (2004).
K. Z. Hatsagortsyan, C. Müller, C. H. Keitel:
Microscopic laser-driven high-energy colliders.
Europhysics Letters 76, 29 (2006).
M. Verschl, C. H. Keitel:
Relativistic classical and quantum dynamics in intense crossed laser beams of various polarizations.
Physical Review Special Topics - Accelerators and Beams 10, 024001 (2007).
M. Klaiber, K. Z. Hatsagortsyan, C. H. Keitel:
Zeptosecond γ-ray pulses.
http://arxiv.org/abs/0707.2900 (2007).
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