Landwirtschaft pflügt das Klima um

Seit der Erfindung von Ackerbau und Viehzucht wandelt der Mensch natürliche Vegetation in Acker- und Weideland um. Die Pflanzengemeinschaften der Kontinente bestimmen jedoch unser Klima auf vielfältige Weise mit.

15. Februar 2010

Der Mensch hat möglicherweise schon Klimaveränderungen verursacht, lange bevor er begann, massiv Öl und Kohle zu verbrennen. Am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg haben wir die Ausbreitung der Landwirtschaft im letzten Jahrtausend untersucht. Dabei zeigt sich, dass der Mensch insbesondere das regionale Klima schon vor Beginn der Industrialisierung stark beeinflusst hat.

Julia Pongratz, Christian Reick (Max-Planck-Institut für Meteorologie)

Kirchenbücher als Studienobjekt von Wissenschaftlern – die meisten Menschen denken dabei wahrscheinlich an Theologen und Ahnenforscher. Nur die wenigsten kämen auf die Idee, dass sie auch für Klimaforscher wichtige Erkenntnisse bereithalten. Denn diese viele Jahrhunderte zurückreichenden Aufzeichnungen enthalten wichtige Informationen zur Bevölkerungsentwicklung und damit auch zur landwirtschaftlich genutzten Fläche. Wenn aber aus natürlicher Vegetation Äcker und Felder werden, hat dies Folgen für das Klima.

Für uns Klimaforscher ist es deswegen ein Glück, dass Demografen uns in den letzten Jahrzehnten schon die Arbeit abgenommen haben, aus historischen Dokumenten Daten zur weltweiten Bevölkerungsentwicklung abzuleiten. Daraus können wir den Einfluss des Menschen auf das Weltklima in früheren Zeiten ableiten.

Die vorindustrielle Zeit eignet sich besonders gut, um die Folgen der Landnutzung für das Klima zu analysieren. Denn vor 1850 war die weltweit voranschreitende Ausdehnung der Landwirtschaft die einzige „menschengemachte“ Störung des globalen Klimasystems. Da die gewonnenen Ackerflächen häufig durch Rodung von Wäldern entstanden, landete der im Holz gespeicherte Kohlenstoff über kurz oder lang als Bestandteil von Kohlendioxid in der Atmosphäre.

Erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts setzt der Mensch deutlich mehr des Treibhausgases Kohlendioxid durch die Verbrennung fossiler Energieträger frei als durch die Änderung der Vegetation. Seitdem ist der gegenwärtig beobachtete weltweite Klimawandel hauptsächlich durch Abgase aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Erdgas bestimmt.

Kontinente wirken als Kohlenstoffspeicher

Vernichtung von Vegetation führt also zum Ausstoß von Kohlendioxid. Gleichzeitig macht die Pflanzenwelt der Erde einen Teil des in die Atmosphäre entlassenen Kohlendioxids wieder unschädlich. Denn Pflanzen nehmen Kohlendioxid mithilfe der Fotosynthese aus der Atmosphäre auf und binden den darin enthaltenen Kohlenstoff unter Abgabe von Sauerstoff in organischen Verbindungen. So nahmen die Kontinente in den 1990er-Jahren von den jährlich etwa 6,4 Gigatonnen (Milliarden Tonnen) Kohlenstoff aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Erdgas etwa eine Gigatonne wieder auf. Die Kontinente speichern also immerhin 15 Prozent der fossilen Emissionen jedes Jahr. Man spricht daher auch von einer sogenannten Land-Kohlenstoffsenke.

Die Vegetation der Kontinente kann auf diese Weise dem globalen Temperaturanstieg entgegenwirken. Denn die weltweite Erwärmung hängt direkt mit dem Anstieg der Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre zusammen: Kohlendioxid verringert die Durchlässigkeit der Atmosphäre für die Wärmerückstrahlung der Erde, wodurch sich die unteren Luftschichten aufheizen. Die Land-Kohlenstoffsenke vermindert also den Temperaturanstieg, den wir ansonsten als Folge der Verbrennung fossiler Energieträger und der Ausdehnung landwirtschaftlicher Flächen zu erwarten hätten.

Vegetation ist allerdings auch noch in anderer Hinsicht klimarelevant. Die unterschiedlichen Vegetationstypen beeinflussen den Energie-, Wasser- und Impulsaustausch zwischen Atmosphäre und Erdoberfläche. Sie wirken sich vor allem auf das regionale Klima aus. So erscheinen Graslandschaften aus der Vogelperspektive typischerweise heller als z. B. Wälder, Wissenschaftler sprechen von einer höheren Albedo. Dementsprechend reflektieren Grasflächen Sonnenlicht besser und erwärmen sich deshalb schwächer. Gleichzeitig verdunsten Wälder mehr Wasser über ihre Blätter und Nadeln, da sie oft tiefe Wurzeln besitzen, und kühlen deshalb stärker ab als flachwurzelnde Graslandschaften. Welcher Effekt überwiegt – Erwärmung durch Sonneneinstrahlung oder Selbstkühlung durch Verdunstung –, hängt unter anderem von Sonnenstand, der Verfügbarkeit von Wasser im Boden, Luftfeuchtigkeit und Pflanzentyp ab.

Die Pflanzendecke trägt so zusammen mit der vorherrschenden mittleren Sonneneinstrahlung, Windrichtung und Niederschlag wesentlich zum lokalen Klima bei. Am Max-Planck-Institut für Meteorologie untersuchen wir deshalb, wie stark Vegetationsänderungen die Absorption von Sonneneinstrahlung beeinflussen und welche Folgen diese Änderungen für den Kohlendioxid-Austausch zwischen den Landmassen und der Atmosphäre haben.

Weltkarte der Land­wirtschaft

Seit dem Ende der letzten Eiszeit vor 10000 Jahren hat sich das Klima natürlicherweise verändert. Als Folge haben sich neue Pflanzengemeinschaften gebildet und ausgebreitet. Dazu kommt der Mensch: Durch Ackerbau, Forstwirtschaft und Urbanisierung hat er stark in die natürlichen Austauschprozesse zwischen Atmosphäre und den Pflanzen der Kontinente eingegriffen. Berechnungen zufolge werden heute etwa 24 Prozent des weltweiten Pflanzenwachstums durch den Menschen kontrolliert.

In den Jahrtausenden zwischen 9000 und 5000 Jahren vor heute entwickelten sich Ackerbau und Viehzucht in mindestens vier Regionen unabhängig voneinander: im sogenannten Fruchtbaren Halbmond Kleinasiens, in Teilen Chinas und in Mittel- und Südamerika. Von dort breiteten sich die Landwirtschaft treibenden Kulturen aus und verdrängten nach und nach geschichtlich ältere Jäger- und Sammlergesellschaften. Leider gibt es kaum genaue Aufzeichnungen darüber, wie viel Fläche in einer Region zu einem bestimmten Zeitpunkt landwirtschaftlich genutzt wurde. Dieser Mangel an Daten erschwerte bislang die Untersuchung von Veränderungen der globalen Vegetationsverteilung und deren Rolle im Klimageschehen.

Deshalb mussten wir andere Informationsquellen, nämlich die bereits zu Beginn erwähnten Daten zur Bevölkerungsentwicklung nutzen. Die Größe der Bevölkerung und die landwirtschaftlich genutzte Fläche hängen eng zusammen. Vor der industriellen Revolution war Fernhandel auf wertvolle Güter wie etwa Gewürze beschränkt, Grundnahrungsmittel konnten kaum in ausreichender Menge über größere Entfernungen transportiert werden. Deswegen kann man für die Zeit zwischen Mittelalter und industrieller Revolution von der regionalen Bevölkerungszahl auf die benötigte land­wirtschaftliche Fläche schließen.

Wir haben diesen Zusammenhang genutzt und haben einen Datensatz erstellt, der weltweit die Verteilung von Acker- und Weideflächen seit dem Jahr 800 nach Christus nachzeichnet. Unsicherheiten bezüglich der Bevölkerungs­daten und der Einfluss von sich ändernden Agrartechniken sind dabei berücksichtigt. Darüber hinaus haben wir rekonstruiert, wie die landwirtschaftliche Expansion die Verteilung von Wäldern und natürlichen Gras- und Strauchlandschaften beeinflusst. Demnach nimmt die natürliche Vegetation bereits in vorindustrieller Zeit zugunsten von Acker- und Weideflächen deutlich ab.

Kohlendioxid-Anstieg durch Pflug und Axt

Gerade das letzte Jahrtausend ist in dieser Hinsicht besonders interessant: Zwischen 800 und dem frühen 18. Jahrhundert verdreifachte sich die Welt­bevölkerung auf eine Milliarde Menschen. Es muss also eine landwirtschaftliche Expansion von nie zuvor dagewesener Stärke stattgefunden haben. Wenn wir daher in diesem Zeitraum keine menschengemachte Klimaänderung nachweisen können, so ist dies auch für die vorangegangenen Jahrtausende nicht zu erwarten. Der Einfluss des Menschen auf das Klima hätte dann wie meist angenommen erst mit der massenhaften Verfeuerung von Öl und Kohle während der industriellen Revolution begonnen.

Wir kommen in unserer Studie allerdings zu einem anderen Ergebnis. Klimamodelle erlauben es uns heute, die Wechselwirkungen zwischen Vegetation, Atmosphäre und Ozean über lange Zeiträume auf Großrechnern zu simulieren. Mit der Rekonstruktion der Landnutzung im letzten Jahrtausend und einem an unserem Institut ent­wickelten Erdsystemmodell können wir abschätzen, wie sich der Kohlenstoffkreislauf und das Klima durch den Einfluss der Landwirtschaft verändert haben.

In den Zentren der historischen Landwirtschaft in Europa, Indien und China hat sich demnach die Landwirtschaft zwischen den Jahren 800 und 1850 auf Kosten von Waldgebieten stark ausgebreitet und zu einem Verlust von weltweit 53 Gigatonnen Kohlenstoff geführt. Gleichzeitig werden über die Land-Kohlenstoffsenke 25 Gigatonnen aufgenommen. Besonders in naturbelassenen Regionen wie den tropischen Regenwäldern wurde also fast die Hälfte der Emissionen wieder gespeichert. Pflanzen wachsen nämlich bei höheren Kohlendioxid-Werten schneller – dadurch können sie mehr von dem Treibhausgas binden und den Anstieg in der Atmosphäre zumindest teilweise kompensieren. Ein Prozess, den Wissenschaftler als „Kohlendioxid-Düngung“ der Pflanzen bezeichnen.

Lokaler Klimawandel auch ohne Industrie

Diese Zahlen belegen, dass durch die landwirtschaftliche Entwicklung in der vorindustriellen Zeit des letzten Jahrtausends netto etwa 28 Gigatonnen Kohlenstoff in die Atmosphäre entlassen wurden. Diese Emissionen blieben jahrhundertelang sehr klein und trugen erst zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert stärker zur atmosphärischen Kohlendioxid-Konzentration bei, als durch natürliche Klimaschwankungen allein erklärbar wäre. Es sieht also so aus, als ob der Mensch zwar erst spät, aber noch vor der Industrialisierung die Kohlendioxid-Konzentration der Atmosphäre erhöht hat. Dieser Kohlendioxid-Anstieg ist allerdings zu gering, um die Temperatur global merklich zu ändern.

Auf regionaler Ebene hat der Mensch das Klima dagegen auch schon vor der Industrialisierung beeinflusst. Simulationen zeigen, dass der Mensch bereits vor über tausend Jahren die Energiebilanz einiger Regionen verändert hat, weil sich mit der Landnutzung auch die Albedo der Landoberfläche gewandelt hat. Besonders in Europa, Indien und China hat die aufgenommene Sonneneinstrahlung rund zwei Watt pro Quadratmeter abgenommen. Eine solche Änderung ist lokal genauso stark wie der gegenwärtige Treibhauseffekt, allerdings hat sie einen entgegengesetzten – sprich abkühlenden – Effekt.

Sogar geschichtliche Ereignisse können sich durch solche biogeophysikalischen Effekte regional auf das Klima durchpausen: So hat sich der wachsende menschliche Einfluss im 14. Jahrhundert auf die Energiebilanz Europas deutlich abgeschwächt. Hervorgerufen wurde dies durch die Pestepidemie, der etwa ein Drittel der Bevölkerung zum Opfer fiel und in deren Folge weite landwirtschaftliche Flächen zeitweise aufgegeben wurden. Ähnliche Folgen hatten der Einfall der Mongolen im 13. Jahrhundert in China und die mit der Invasion der Europäer eingeschleppten Krankheiten bei den Hochkulturen Amerikas.

Klimaschutz durch Aufforstung?

Schon in vorindustrieller Zeit hat der Mensch somit die Energiebilanz regional verändert und den atmosphärischen Kohlendioxid-Gehalt angehoben. Er hat das Gleichgewicht des Kohlenstoffkreislaufs gestört und die Kohlenstoffsenke der Wälder durch Rodung verkleinert. All dies ließ die Menschheit schon mit einer gewissen Vorbelastung in die industrielle Ära eintreten. Die Landnutzung aus der Vergangenheit wirkt dadurch auf das heutige und zukünftige Klima weiter.

Während dieser Einfluss auf das Klima bislang nur ein unbeabsichtigter Nebeneffekt war, soll Landnutzung in der Zukunft zielgerichtet eingesetzt werden, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. So wird vielfach die Wiederaufforstung landwirtschaftlicher Flächen gefordert, um der Atmosphäre Kohlendioxid zu entziehen und den gegenwärtigen Klimawandel abzuschwächen. Wiederaufforstung ist jedoch nicht immer ein Mittel gegen den Klimawandel, sie kann die Erwärmung auch beschleunigen: Studien zeigen, dass in den mittleren und hohen Breiten durch die Wiederbewaldung die Albedo so stark gesenkt und dadurch so viel mehr Sonnenstrahlung aufgenommen wird, dass der abkühlende Effekt der Kohlendioxid-Aufnahme nicht zum Tragen kommt. In den Tropen hingegen spielt die hohe Verdunstung der Wälder eine größere Rolle und wirkt zusammen mit der Kohlendioxid-Aufnahme kühlend.

Die Abholzung des tropischen Regenwalds zu stoppen, der gerodet wird, um landwirtschaftliche Nutzfläche zu gewinnen, könnte daher wirkungsvoller sein, als Wälder in gemäßigten Zonen wieder aufzuforsten. Die Entwicklung des Klimas wird also auch in Zukunft von landwirtschaftlichen Entscheidungen abhängen.

Glossar
Albedo
Ist ein Maß dafür, wie stark die Kontinente, Ozeane oder Wolken das Sonnenlicht zurückwerfen. Helle Flächen besitzen eine höhere Albedo als dunkle.
Kohlenstoffsenke
Die Landmassen und Ozeane können Kohlenstoff aus der Atmosphäre ent­fernen und dauerhaft binden. Daran sind in erster Linie Pflanzen beteiligt: Diese nehmen Kohlendioxid auf und bilden daraus organische Verbindungen. Aber auch bei geologischen Prozessen wie der Bildung von Kalkgestein wird Kohlendioxid gebunden.

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