Fledermäuse haben einen Magnet- und Sonnenkompass

Das weiß mittlerweile jedes Kind: Fledermäuse sehen mit den Ohren. Björn Siemers vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen und Richard Holland vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell zeigen, dass sich die Tiere auch am Magnetfeld der Erde orientieren, ihren inneren Kompass am Sonnenuntergang justieren – und noch weitere Überraschungen für die Forschung bereithalten.

Text: Susanne Wedlich

Eingefleischte Horrorfans sind sich der Gefahr längst bewusst: Vampire lassen sich kaum aufhalten. Knoblauch hilft nur vorübergehend, und wer einen Holzpflock ins untote Herz jagen will, muss sich erst einmal nahe genug herantrauen. Nicht selten ist der anbrechende Tag die letzte Hoffnung. Denn wenn man den Mythen Glauben schenken kann, zerfallen Vampire im Sonnenlicht zu Staub. Das angeblich tierische Pendant der menschlichen Blutsauger allerdings verträgt Sonnenstrahlen nicht nur hervorragend, es ist sogar auf sie angewiesen: Mithilfe des Sonnenuntergangs justieren Fledermäuse nämlich ihren inneren Kompass. So können sie sich schließlich am Magnetfeld der Erde orientieren.

Dass auch Fledermäuse diese Fähigkeit besitzen, wurde allerdings erst vor Kurzem entdeckt. Der Nachweis hat möglicherweise so lange auf sich warten lassen, weil das Augenmerk der Forscher in erster Linie auf dem einzigartigen Hauptsinn der fliegenden Säuger liegt: Wie seit den 1940er-Jahren bekannt, nutzen Fledermäuse die Echoortung zur Jagd und zur Orientierung. Kurz gesagt: Die Tiere sehen mit den Ohren. Sie stoßen Rufe im für den Menschen unhörbaren Ultraschallbereich aus und lauschen auf das zurückkehrende Echo. Trifft der Schall auf ein Hindernis, wie etwa ein Beutetier, wird er reflektiert.

Die Fledermäuse können daraus wichtige Informationen ableiten. So kommt etwa das Echo schneller zurück, wenn das Hindernis nahe gelegen ist. Erreicht der reflektierte Schall das eine Ohr leiser als das andere, lässt das auf die Richtung schließen, in der sich das Objekt befindet.

Echoortung funktioniert nur im Nahbereich

Die Echoortung funktioniert aber nur im Nahbereich. „Fledermäuse können sich damit keinen Überblick in ihrer dreidimensionalen Umwelt verschaffen“, sagt Björn Siemers, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck- Institut in Seewiesen: „Sie orten Insekten im Normalfall wohl nur in einer Entfernung von einem bis zu fünf Metern. Da sie aber mit bis zu 35 Stundenkilometern fliegen, ist das ungefähr so, als ob wir mit einer Taschenlampe auf der Autobahn unterwegs wären.“

Dennoch bewegen sich manche Fledermäuse bei der Nahrungssuche über weite Strecken, etwa jede Nacht 20 oder mehr Kilometer. Und auch zwischen Sommer- und Winterquartier können mehr als 50 Kilometer liegen. Bei einigen Arten sprechen Zoologen sogar von Zugverhalten, weil sie mehr als tausend Kilometer zurücklegen. Ein prägnantes Beispiel hierfür sind die Rauhautfledermäuse, die in Polen geboren werden, in Deutschland balzen und in Holland überwintern. „Da stellt sich die Frage, wie die Tiere den Weg finden“, sagt Siemers. „Es ist kaum vorstellbar, dass sich die Fledermäuse auch über diese Entfernungen einzelne Bäume, Sträucher oder andere Landmarken einprägen.“

Einen wichtigen Hinweis erhielt der Verhaltensökologe durch Forschungsarbeiten, die sein Kollege Richard Holland vor einigen Jahren als Postdoktorand an der US-amerikanischen Princeton University gemacht hatte: „Untersuchungen zu der Frage, wie sich Tiere in unbekannten Gegenden zurechtfinden, wurden bislang in erster Linie an Zugvögeln gemacht“, erklärt Holland, „und die orientieren sich am Magnetfeld der Erde. Irgendwann wurde mir klar, dass Fledermäuse vor ähnlichen Herausforderungen stehen, und ich habe deshalb getestet, ob sie einen entsprechenden inneren Kompass besitzen.“

Hollands Experimente schienen seine Vermutung zu bestätigen. Allerdings waren nur wenige Tiere in die Tests einbezogen worden, sodass das Ergebnis mit einer gewissen Skepsis aufgenommen wurde – auch von Björn Siemers. Gemeinsam machten sich die beiden Forscher deshalb daran, in einer größeren Studie einen möglichen Magnetsinn der Fledermäuse zu prüfen – und zwar in Bulgarien. Die dortigen Kolonien sind in der Regel sehr viel größer als jene in Deutschland. „Wenn wir ein paar Exemplare von Tausenden fangen und testen, stört das die Gruppe weniger, als wenn es insgesamt nur ein paar Hundert Tiere sind“, sagt Siemers. Nach einer oder wenigen Nächten an der Feldstation lassen die Forscher die Fledermäuse wieder dort frei, wo sie sie gefangen haben.

Zusammen mit ihrem bulgarischen Kollegen Ivailo Borissov wollten Siemers und Holland zunächst herausfinden, ob sich Fledermäuse an einem ihnen unbekannten Ort überhaupt orientieren können und nach Hause finden. Schnell zeigte sich, dass die Großen Mausohren damit kein Problem hatten. Die Tiere wurden in etwa 25 Kilometer Entfernung von ihrem Quartier auf einem abgeernteten Feld freigelassen, das kaum Anhaltspunkte zur Orientierung bot.

Unterwegs in einer verkehrten Magnetwelt

Per Radiosender konnten die Biologen verfolgen, dass sich die meisten Fledermäuse schon nach wenigen Kilometern Flug zügig in Richtung Heimathöhle bewegten: „Die schnellsten Tiere haben nur etwa zwei Stunden zurück zu ihrem Quartier benötigt“, sagt Siemers. „Dabei hatte ich große Zweifel, ob dieser Versuch überhaupt funktionieren würde.“

Nicht geklärt war damit aber, ob sich die Fledermäuse am Magnetfeld der Erde orientieren und ihren inneren Kompass am Sonnenuntergang justieren. Zugvögel tun genau das, wie schon vor Jahrzehnten nachgewiesen wurde. Die Forscher nutzen dafür – auch bei den Versuchen in Bulgarien – sogenannte Helmholtz-Spulen. In ihrem Inneren werden die Tiere einem künstlich erzeugten Magnetfeld ausgesetzt, dessen Ausrichtung die Forscher bestimmen können: So bauten sie bei der Hälfte der Tiere ein Magnetfeld auf, das um 90 Grad von Nord nach Ost verdreht war. Die Spulen mit den Kontrolltieren waren hingegen nicht eingeschaltet – hier wirkte nach wie vor das natürliche Magnetfeld. Eines aber blieb gleich: Alle Fledermäuse befanden sich unter einer transparenten Plexiglaskuppel und konnten den Sonnenuntergang beobachten.

Die Tiere der Kontrollgruppe fanden umgehend den Weg zurück in ihre Höhle. Jene Fledermäuse jedoch, die aus der verkehrten Magnetwelt kamen, flogen entsprechend der künstlichen Ausrichtung um etwa 90 Grad in die falsche Richtung nach Osten. „Um die Wirkung des Sonnenuntergangs zu testen, haben wir das Experiment dann in der Nacht wiederholt“, sagt Siemers. Auch in diesem Fall wurde die Hälfte der Tiere für eine Stunde – in Bezug auf das Magnetfeld – von Nord auf Ost gedreht. Zu diesem Zeitpunkt war die Sonne aber bereits hinter dem Horizont verschwunden.

Nun flogen alle Tiere vom Auflassort aus zielgerichtet zur Heimathöhle. „Die Manipulation des Magnetfelds war also nur zur Zeit des Sonnenunterganges wirksam“, fasst Richard Holland das Ergebnis zusammen, „weil dann der Magnetkompass an der Position der untergehenden Sonne neu kalibriert wird.“

Der Sonnenuntergang weist die Richtung

Für die Fledermäuse ist also Westen dort, wo die Sonne untergeht, egal, ob ihnen das Magnetfeld etwas anderes sagt. Eine gute Strategie, denn Eiseneinlagerungen in der Erdkruste können das lokale Erdmagnetfeld schwanken lassen. Das Ergebnis ist erstaunlich, denn eigentlich sollten die nachtaktiven Fledermäuse – und dazu gehören fast alle der mehr als 1 000 Arten, die es weltweit gibt – den Sonnenuntergang nur selten zu Gesicht bekommen.

Die Mausohren fliegen erst aus, wenn die Sonne schon unter dem Horizont steht. „Wir konnten jedoch noch eine Stunde nach dem Ausflug der Tiere am helleren Himmel sehen, wohin die Sonne verschwunden ist“, sagt Björn Siemers. Dieser Lichtschimmer genügt den Fledermäusen offenbar zur Orientierung.

Was aber passiert an wolkenverhangenen Tagen? „Die Tiere bleiben dann wohl bei ihrer letzten Ausrichtung“, so Siemers. „Wir vermuten, dass sie nicht auf eine tägliche Justierung angewiesen sind, müssen das aber noch testen.“ Ebenfalls ungesichert, aber sehr wahrscheinlich ist, dass sich die Fledermäuse auffällige Landmarken merken und daran orientieren. „Deshalb haben wohl auch die falsch gepolten Tiere aus unseren Magnetfeldversuchen ihren Irrtum bemerkt und doch noch den Weg Richtung Heimathöhle gefunden“, spekuliert Siemers. Auch wenn die Tiere nicht sehr gut sehen. „Anders als oft vermutet sind Fledermäuse nicht blind“, betont der Biologe: „Ihre Augen können diese Informationen durchaus liefern.“

Fledermäuse sind eine ausgesprochen erfolgreiche Tiergruppe, die im Laufe der Evolution eine Vielzahl von Arten hervorgebracht hat. Mit der Echoortung verfügen die Tiere über ein einzigartiges Sinnessystem, das sie in erster Linie zur Orientierung und Nahrungssuche einsetzen. Anders als der Gesang der Vögel und auch die Sprache des Menschen ist die Echoortung nicht primär als Mittel zur Kommunikation entstanden.

An ihren Rufen sollt ihr sie erkennen

Trotzdem, Fledermäuse können ihre Artgenossen an deren Echoortungsrufen erkennen und unterscheiden. Und nicht nur das. Wie ein Projekt von Siemers und seiner Mitarbeiterin Maike Schuchmann gezeigt hat, unterscheiden etwa Hufeisennasen auch zwischen artfremden Echoortungsrufen. Das gilt selbst dann, wenn deren Frequenzen mit denen der getesteten Tiere überlappen.

Diese Ergebnisse werfen neue Fragen auf: „Wir können noch nicht beurteilen, inwieweit die Tiere die Fähigkeit, fremde Arten an den Rufen zu erkennen, auch tatsächlich nutzen“, sagt Siemers. Denkbar wäre aber, dass sie auf diesem Weg überlegenen Konkurrenten im Jagdgebiet ausweichen. Oder sie könnten anderen Arten mit ähnlichen Quartieransprüchen auf der Suche nach neuen Hangplätzen folgen.

Angepasst an eine ganz bestimmte Nische

Doch schon jetzt lässt sich festhalten, dass die Echoortung ein breit gefächertes Repertoire an Funktionen erfüllt – und dennoch nur einer von mehreren Sinnen ist: Fledermäuse können sehen, riechen, hören und sich zudem am Magnetfeld der Erde orientieren; die Forscher müssen allerdings noch herausfinden, wie die Tiere das Magnetfeld wahrnehmen. Für Björn Siemers sind sie in jedem Fall das perfekte Forschungsobjekt der Sinnesökologie: „Ich möchte wissen, welche Rolle die Unterschiede in den sensorischen Fähigkeiten spielen, wenn sich Tiergemeinschaften einen Lebensraum teilen.“

Seine Vermutung: Einzelne Arten könnten aufgrund ihrer unterschiedlichen Fähigkeiten die Überlappung ihrer Nahrungsnischen verringern und damit auch die Konkurrenz untereinander. Demnach könnten selbst kleine Differenzen einen Unterschied machen. Ein einfaches Beispiel sind hier Fledermausarten, die im Wald nach Insekten jagen. Das ist keine triviale Aufgabe, denn jede Unebenheit in der Baumrinde, jeder Grashalm und jedes Blatt werfen den Ruf einer Fledermaus zurück. „Die Tiere hören da eine Art Echosalat, in dem die Reflektion eines Beutetiers leicht untergeht“, sagt Siemers. In dieser Situation rufen Fledermäuse wiederholt und kurz. Bandbreite und Länge des Rufs sind an die hindernisreiche Umgebung angepasst, aber nicht bei allen Arten identisch.

Die Fransenfledermaus etwa ist auf die Beutejagd direkt an der Vegetationskante spezialisiert. Ihre Ortungsrufe können bei Insekten vor diesem Hintergrund gut erkennbare Echos erzeugen. Sogar eine Spinne in ihrem Netz kann die Fransenfledermaus finden. Andere Arten im selben Lebensraum sind dagegen an die Jagd zwischen den Bäumen angepasst, sodass sie die potenziellen Beutetiere der Fransenfledermaus leicht überhören.

Das Große Mausohr, die größte Fledermausart Deutschlands, erkennt ihre Beute auch am Geräusch – im ersten Schritt ohne Echoortung. Wie Björn Siemers nachgewiesen hat, fliegen die Tiere sogar auf die Gesänge männlicher Laubheuschrecken, die damit um ein Weibchen werben, aber nicht selten im Maul einer Fledermaus landen. Es ist bekannt, dass diese unfreiwilligen akustischen Köder ihr Liebeswerben meist von erhöhter Stelle aus betreiben und damit für Weibchen weithin hörbar sind. Stark exponierte Stellen meiden die Männchen aber. Möglicherweise stellt dies bereits eine Anpassung an die fliegenden Räuber dar. Auch die wichtigsten Beutetiere des Großen Mausohrs, die Laufkäfer, verraten sich meist selbst – durch Raschelgeräusche am Boden. Große Mausohren jagen gerne auf trockenem Boden oder aber auf abgemähten Wiesen, weil sich die Käfer in hohem Gras leicht verstecken können. „Wir haben uns gefragt, ob der Mensch nicht auch einen schädlichen Einfluss haben kann“, so Siemers. Zwei Jahre zuvor hatten die Forscher zeigen können, dass die Fledermäuse starken Verkehrslärm meiden: „Nun wollten wir wissen, was passiert, wenn sie der akustischen Störung nicht ausweichen können.“

Im Test sollte eine Autobahn simuliert werden, die durch das angestammte Jagdgebiet der Fledermäuse rauscht. Dafür nahmen Siemers und seine Mitarbeiter zunächst den Autobahnverkehr auf und spielten ihn den Fledermäusen vor. „Und zwar ordentlich laut, als wenn eine Reihe Lkws vorbeifährt“, sagt der Wissenschaftler. Darüber hinaus hatten sie in einer Schallkammer die Raschelgeräusche von Laufkäfern aufgenommen. Diese wurden nun in unterschiedlicher Distanz zum künstlichen Verkehrslärm abgespielt. Das Resultat: Je näher der Lärm war, desto länger brauchten die Fledermäuse zur Ortung der Raschelgeräusche. Aber selbst wenn die Aufnahmen einer Entfernung der Trasse von nur 7,5 Metern entsprachen, waren die Tiere immerhin noch in der Hälfte der Fälle erfolgreich. Fledermäuse können laute Hintergrundgeräusche also hervorragend ausblenden. „Diese Ergebnisse unterstreichen einmal mehr, wie hochsensitiv ihr Gehör ist“, betont Siemers.  

 

GLOSSAR

Ultraschall
Als Ultraschall werden Schallereignisse bezeichnet, die oberhalb des menschlichen Hörbereiches, etwa 16 Hertz bis 20 Kilohertz, liegen. (1 Hertz entspricht einer Schallschwingung pro Sekunde.) Fledermausrufe sind meist sehr hochfrequent; typischerweise oberhalb von 20 Kilohertz. Den Weltrekord von 250 Kilohertz konnte Siemers zusammen mit Kollegen bei malaysischen Regenwaldfledermäusen nachweisen. Die sogenannte atmosphärische Abschwächung sorgt dafür, dass hochfrequenter Schall weniger weit trägt als niederfrequenter.

Echoortung
Fledermäuse nutzen den Ultraschall zur Echoortung trotz seiner geringen Reichweite, wohl weil er eine relativ genaue Auflösung bietet. Das physikalische Prinzip: Je höher die Frequenz, desto kleiner die Wellenlänge. Je kleiner die Wellenlänge, desto kleiner wiederum kann der Abstand zwischen zwei Objekten sein, damit sie gerade noch zwei getrennte Echos reflektieren, also für die Fledermaus als zwei und nicht als ein (verschmolzenes) Objekt wahrnehmbar sind.

Vegetationskante
Der Begriff beschreibt die Randstruktur von Vegetation, zum Beispiel von Gebüschen oder Baumgruppen.

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht