Aufbruch in die Nanowelt

Zahlreiche Wege führen in die Nanowelt, und keinen davon sind wir heute schon ganz zu Ende gegangen

18. Oktober 2010

Winzige Partikel, die nur milliardstel Meter (Nanometer) groß sind, besitzen unerwartete mechanische, elektrische, optische und magnetische Eigenschaften. Nanowissenschaftler nutzen sie, um gezielt neue Materialien zu entwickeln. Das weite Anwendungsspektrum der Nanotechnologie reicht von der Biomedizin bis zur Elektronik.

Um Brot zu backen, braucht es Getreide – doch erst zu Mehl zerkleinert zeigen Roggen-, Weizen- oder Haferkörner jene für den Bäcker wichtigen Eigenschaften. Materialwissenschaftler verfolgen eine ähnliche Strategie: Vor allem seit sie in die Nanowelt vorgestoßen sind, haben sich ihnen völlig neue Möglichkeiten eröffnet. Die hier relevanten Strukturen sind gerade einmal zwischen einem und 100 milliardstel Meter groß. Im Kosmos der Nanopartikel scheint vieles auf den Kopf gestellt: Isolatoren leiten plötzlich Strom, sonst stabile Substanzen verbrennen, chemisch träge Stoffe wie Gold werden zu leistungsstarken Katalysatoren.

Fähren im Nanomassstab

Das ist im Grunde leicht zu verstehen. Ein Materiekubus mit einer Kantenlänge von ­einem milliardstel Meter (Nanometer) besteht im Schnitt aus nur 64 Atomen. Lediglich acht davon befinden sich aber in seinem Innern, die anderen 56 sitzen an der Oberfläche. Mit anderen Worten: Die meisten sind Oberflächenatome, die andere Eigenschaften besitzen als die Atome im Innern. Deshalb haben altbekannte Materialien plötzlich unerwartete Eigenschaften, sobald man sie fein genug zerkleinert.

Organische Nanoteilchen – also solche, in denen Kohlenstoffatome vorkommen – lassen sich so regelrecht auf neue Funktionen zuschneidern (Bild 1). Sie dienen zum Beispiel als Farbstoffe, zum Markieren von Molekülen, was etwa in der Krebsdiagnostik eine Rolle spielt, als Transportvehikel für pharmazeutische Wirkstoffe im Körper1 oder als »Genfähren«2 zum Einschleusen von Erbsubstanz in Zellen.

Anorganische Nanopartikel (solche ohne Kohlenstoffatome) setzen Forscher bereits heute ein, um Werkstoffeigen­schaften zu verbessern. Ein Beispiel für ein solches Nanokomposit ist ein jüngst entwickelter verformbarer und dennoch hoch­­fester Stahl. Wie üblich wird er bei der Herstellung durch Erhitzen gehärtet, gleichzeitig werden in sein Kristallgitter nanometergroße Partikel von Nickel, Titan und Molybdän eingebaut. Die zusätzlichen Partikel sorgen für extreme Festigkeit, auch wenn sie nur ein oder zwei Prozent des Gesamtgewichts ausmachen (Bild 2). Mit solchen Stählen lassen sich Leichtbauweisen verwirklichen, die etwa in der Automobiltechnik zum Einsatz kommen. Weil diese Materialien extrem belastbar sind, kommen die Ingenieure mit geringeren Mengen aus. Die Fahrzeuge werden dadurch leichter, verbrauchen weniger Treibstoff und produzieren weniger Kohlendioxid.

Doch nicht nur Partikel, sondern auch »Löcher« im Nanoformat bieten verblüffende Vorteile. So können Materialien mit gezielt erzeugten, winzigen Vertiefungen oder Poren als Träger für Katalysatoren fungieren. Da die »Nanoporen« eine im Vergleich zu ihren Abmessungen sehr große Oberfläche besitzen, steht ein dort eingebrachter Katalysator mit großer reaktiver Kontaktfläche zur Verfügung.

Wenn nur winzige Mengen an chemischen Reaktionspartnern zur Verfügung stehen oder wenn es gilt, gesundheitsgefährdende oder explosive Reaktionen zu kontrollieren, dann wollen die Chemiker oft bestimmte Flüssigkeiten nur in nano­skopischen Mengen transportieren. Dies gelingt bereits in winzigen Laboratorien, die als Ganzes auf eine Siliziumscheibe passen. Ein solches Lab-on-a-Chip erleichtert es zum Beispiel, effizient nach Giftstoffen in chemischen oder biologischen Proben zu fahnden oder etwa Gensequenzen von Krankheitserregern nachzuweisen.

Bislang besitzen solche Systeme noch Abmessungen, die jene der Nanowelt um ein Tausendfaches übersteigen. Daher gehorchen auch die Flüssigkeitsströme in ­ihnen noch den aus der makroskopischen Physik bekannten Gesetzen. Verkleinern die Forscher die »Rohrleitungen« jedoch immer weiter, so treten völlig neue Effekte auf. Temperaturfluktuationen spielen plötzlich eine erhebliche Rolle, und auch die große Innenoberfläche der Rohre beeinflusst die Flüssigkeitsströme. Zudem wirkt sich die Größe der Flüssigkeitsmoleküle auf deren Verhalten aus3,4. Dies alles in den Griff zu bekommen, gilt als besondere technische und wissenschaftliche He­rausforderung der Nanofluidik.

Strukturen im Nanometerbereich lassen sich grundsätzlich auf zweierlei Weisen erzeugen: durch Top-down- oder Bottom-up-Strategien (Bild 3). Im ersten Fall startet man etwa mit einem unbearbei­teten Rohling – beispielsweise das Halb­leitermaterial, aus dem ein Computerchip entstehen soll. Dieser wird dann litho­graphisch beschrieben. Dazu decken die Ingenieure mit so genannten Masken jene Bereiche seiner Oberfläche ab, die unbe- einflusst bleiben sollen, und ätzen das nicht geschützte Material weg. Auf diese Weise lassen sich selbst winzige Strukturen sehr gezielt und präzise herausarbeiten. Die in der Elektronikindustrie etablierte Vorgehensweise ist allerdings technisch anspruchsvoll, kostspielig und obendrein auf Abmessungen begrenzt, die deutlich mehr als zehn Nanometer betragen.

Spielwiese der Chemie

Der Bottom-up-Ansatz ist einfacher, denn dabei setzen die Forscher auf die Selbstorganisation von Atomen und Molekülen. Dabei gelingt es, vielfältige Strukturen zu geringen Kosten herstellen. Selbstorganisation ist auch die Spielwiese der supra­molekularen Chemie, einer Disziplin, in der es darum geht, wie sich molekulare Bausteine aus eigenem Antrieb zu größeren Gebilden zusammenfinden. Mit ihr ließe sich ein faszinierendes Anwendungsfeld erobern, wenn elektronische und opto­elektronische Bauteile nicht mehr auf Silizium und Metall beruhten, sondern auf kohlenstoffbasierten Materialien. Es locken geringeres Gewicht, biegsame Schaltungen und niedrigere Fertigungskosten.

In der Nanowelt machen sich auch Quanteneffekte bemerkbar. Trifft ein Quantenteilchen wie das Elektron auf eine »Mauer«, die es eigentlich nicht überwinden kann, helfen die Regeln der Quantenphysik weiter: Sie erlauben, dass das Elektron die Barriere mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit doch durchdringt; es »tunnelt« auf die andere Seite der Mauer und muss dafür nicht einmal zusätzliche Energie aufbringen. Auf diesem Effekt beruht beispielsweise das Rastertunnelmikroskop, mit dessen Hilfe Forscher Strukturen im Nanometerbereich und sogar einzelne Atome etwa an den Oberflächen von Halbleitern »abbilden« können.

Zahlreiche Wege führen in die Nanowelt, und keinen davon sind wir heute schon ganz zu Ende gegangen. Es bleibt eine Herausforderung, noch effektiver geeignete Objekte auf der Nanoskala herzustellen, diese weiterzuverarbeiten oder zu komplexeren Strukturen zusammenzufügen. Außerdem werden bessere Untersuchungsmethoden benötigt, um die geschaffenen Objekte hinsichtlich ihrer Struktur und ihrer Eigenschaften näher zu charakterisieren – ohne sie bei diesen Messungen zerstören zu müssen. Und schließlich liegt auch in den Schnittstellen zur makroskopischen Welt eine besondere Herausforderung: Denn was nutzen die winzigen Maschinen, wenn wir sie nicht genau steuern können? Die Nanotechnik der Zukunft hält sicher manche Überraschung bereit, denn ganz unten ist noch eine Menge Platz.

Anders als ein Klumpen aus Gold (Au) verfügen Nanocluster aus Au-Atomen über katalytische Eigenschaften. Diese werden von den elektronischen und geometrischen Strukturen bestimmt. Forscher des Fritz-Haber-Instituts konnten die planare Struktur von Au7 sowie die pyramidale Struktur von Au20 beschreiben. Sogar die Veränderung der Symmetrie infolge der Entfernung eines Eckatoms aus dem tetrahedralen Au20-Cluster lässt sich im Vibrationsspektrum Au19 leicht erkennen (Gruene, P. et al., Science 321, 674, 2008).

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