Hochschulen - elitär und doch sozial verträglich

Die Exzellenz-Initiative der Bundesregierung hat die Ausdifferenzierung der deutschen Hochschullandschaft katalysiert und beschleunigt. Kritiker befürchten eine zunehmende Trennung in Elite- und Massenuniversität. Doch Marius R. Busemeyer sieht in dieser Entwicklung durchaus Chancen – und führt aus, warum und unter welchen Voraussetzungen der Prozess der Differenzierung langfristig die Leistungs- und soziale Gerechtigkeit des deutschen Bildungs- und Beschäftigungssystems verbessern kann.

 

Ein weiteres Beispiel liefert das deutsche Ausbildungssystem. Das zeichnet sich insgesamt dadurch aus, dass die eigentlichen Inhalte, die in Ausbildung und Studium vermittelt werden, wichtiger sind als der Ruf der vermittelnden Bildungsinstitution. Denn die Unternehmen erwarten, dass die jungen Absolventen unmittelbar nach Beendigung der Ausbildung als vollwertige und hoch produktive Arbeitskräfte eingesetzt werden können. Im Unterschied zum Hochschulbereich überlagern sich bei der beruflichen Ausbildung beide Dimensionen, das heißt: Es macht einen Unterschied, was man lernt (etwa Mechatroniker oder Frisör) und wo man lernt (etwa bei Daimler oder beim Handwerksbetrieb um die Ecke).

Auch hier besteht also eine klare Rangordnung, die eindeutige Signale an die Arbeitgeber aussendet: Eine Ausbildung im industriellen Großbetrieb steht in der Hierarchie deutlich höher als eine Ausbildung im Handwerk. Die Existenz dieses effektiven Sortierungs- und Signalmechanismus hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Übergänge von Ausbildung in Beschäftigung in Deutschland über lange Zeiträume hinweg erheblich einfacher und schneller vonstatten gingen als in Ländern mit undifferenzierten und meist schulischen Systemen der beruflichen Bildung (wie in Frankreich oder Italien).

Im Bereich der Hochschulbildung bestand bislang keine eindeutige, transparente und von allen Beteiligten akzeptierte Rangordnung von Lernorten. Sicherlich gab es auch hier unterschwellig kommunizierte und allgemein etablierte Zuschreibungen, die häufig mit dem Traditionsstatus einer Universität in Verbindung standen, etwa Jura in Heidelberg, Maschinenbau in Aachen oder Karlsruhe. Das undifferenzierte Hochschulsystem muss auch vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung des deutschen Hochschulwesens von einem elitären zu einem Massensystem gesehen werden: Vor der Bildungsexpansion der 1970er-Jahre – mit niedrigen Studentenquoten und weniger Universitäten – war der Signaleffekt eines Universitätsabschlusses groß genug, um einen einfachen Übergang in Beschäftigung zu ermöglichen.

Nach der Bildungsexpansion und im Zuge der Noteninflation verschwamm der Signaleffekt eines Hochschulabschlusses zunehmend. Ein Universitätsabschluss, selbst mit einer guten Note, reicht nicht mehr aus, um sich im Wettbewerb um gute Arbeitsplätze oder gar um den Zugang zu Elitenpositionen durchzusetzen. Gehen vom Bildungssystem keine eindeutigen Signale aus, ist die Gefahr groß, dass Unternehmen sich bei der Einstellung auf sekundäre Kriterien verlassen.

Michael Hartmann hat in seinen Studien zur Zusammensetzung und Herkunft der deutschen Wirtschaftseliten festgestellt, dass sich der Zugang eben nicht an tatsächlich erbrachten Leistungen oder Qualifikationsvoraussetzungen orientiert, sondern sehr stark an weichen Faktoren wie dem passenden Habitus, unterschwellig kommunizierten Benimmcodes oder ganz einfach persönlichen Netzwerken. Diese Faktoren erschweren den Aufsteigern aus unteren Schichten systematisch den Zugang zu Wirtschaftseliten, weshalb auch im internationalen Vergleich die deutschen Wirtschaftseliten als besonders geschlossener Kreis gewertet werden müssen.

Universitäten müssen sich noch mehr öffnen

In dem Maße, in dem ein ausdifferenziertes Hochschulsystem transparente und glaubwürdige Signalmechanismen etabliert, wird sich auch der Zugang zu Beschäftigung daran ausrichten. Diejenigen, die es an eine Elite-Universität geschafft haben, hätten damit auch die besten Beschäftigungsmöglichkeiten. Bedeutet das nun ein Problem oder einen Fortschritt? Es ist dann als Fortschritt zu werten, wenn drei Vorraussetzungen gegeben sind:

Erstens muss die Reform des Hochschulsystems mit einer Reform des Sekundarschulwesens zusammengehen. Nur wenn der Zugang zu Hochschulen weiter geöffnet wird, kann sich das Hochschulwesen zum zentralen Mechanismus des sozialen Aufstiegs entwickeln. Konkrete, mittelfristig umsetzbare Maßnahmen wären etwa die Abschaffung der Hauptschule (wie gerade in Rheinland-Pfalz auf den Weg gebracht) oder die Verbesserung der Durchlässigkeit zwischen beruflicher Bildung und Hochschulbildung.

Zweitens muss das Hochschulsystem weiter im Kern öffentlich und allgemein zugänglich bleiben. Selbst wenn den Universitäten die volle Autonomie bei der Auswahl der Studierenden übertragen wird und wenn moderate Studiengebühren erhoben werden, sind kurz- oder mittelfristig kaum „amerikanische“ Verhältnisse zu erwarten. Die chronische Unterfinanzierung der öffentlichen Hochschulen kann aber nicht alleine durch Studiengebühren beseitigt werden. Eine entschlossene Finanzierungsoffensive für öffentliche Hochschulen ist umso dringlicher, weil sich zunehmend private Alternativen etablieren, deren ökonomische Selektionsmechanismen (wirklich hohe Studiengebühren) die Zugangsbarrieren zu hochqualitativer Hochschulbildung erhöhen.

Zur Redakteursansicht