Die Energiewende ist eine Generationenaufgabe

8. April 2011

Seit dem Reaktorunglück in Japan rückt die Frage, wie eine zukünftige Energieversorgung aussehen soll, einmal mehr in den Mittelpunkt. Vielen in Deutschland kann der Ausstieg aus der Atomkraft derzeit gar nicht schnell genug gehen. Bei nüchterner Betrachtung müssen wir jedoch feststellen, dass die Zahl der Handlungsoptionen mit Blick auf eine nachhaltige Energieversorgung wesentlich geringer ist, als uns die Fülle der jetzt gemachten Vorschläge suggerieren.

Fakt ist: Wir brauchen Energie. Ohne Strom, keine Zivilisation. U-Bahn, Straßenbahnen, Telekommunikation, Haushaltsgeräte, Geldautomaten – alle diese Dinge funktionieren nur mit Strom. Unsere hoch technisierte Welt braucht zudem auch ständig mehr davon. Die Internationale Energieagentur (IEA) prognostiziert bis zum Jahr 2030 einen Anstieg des weltweiten Energiebedarfs um fast 50 Prozent. Dabei ist insbesondere das Wirtschaftswachstum in Schwellenländern wie China und Indien Treiber für den steigenden Energieverbrauch. Bereits 2009 überstieg Chinas Gesamtenergieverbrauch den der USA.

Vier Fünftel des primären Energiebedarfs für Strom, Wärme und Mobilität werden derzeit durch fossile Quellen gedeckt, also Öl, Gas und Kohle. Wie lange die Rohöl- und Erdgasvorkommen ausreichen, ist umstritten. Fest steht aber: sie sind endlich. Die Exploration und Erschließung neuer Erdölvorkommen stellt die Unternehmen schon heute vor erhebliche technische Herausforderungen, die den Ölpreis in die Höhe treiben und – man denke nur an das Ölplattform-Unglück im Golf von Mexiko – ebenfalls nicht zu unterschätzende Sicherheitsrisiken bergen.

Hinzu kommt, dass sich die weltgrößten Öl- und Gasreserven in politischen Krisengebieten befinden. Was das heißt, erleben wir gerade: Die Aufstände der Bevölkerung gegen die Diktatoren in Nordafrika und im Nahen Osten haben den Ölpreis auf den höchsten Stand seit zwei Jahren katapultiert. Sollte sich die Kostenexplosion auf dem Rohstoffmarkt verfestigen, so könnte dies nach Ansicht von Wirtschaftsexperten das Wirtschaftswachstum beeinträchtigen. Der Energiehunger macht unser Wirtschaftssystem extrem verwundbar.

Die Zahlen zum Klimawandel führen uns außerdem vor Augen, dass es nicht sinnvoll sein kann, aus dem Atomrisiko auszusteigen und dafür ein anderes Risiko in Kauf zu nehmen, dessen globale Folgen mindestens genauso schwerwiegend sind. Die weitgehende Deckung unseres Energiebedarfs mit fossilen Energieträgern lässt die weltweiten Kohlendioxid-Emissionen ansteigen: Bei dem von der IEA für 2030 prognostizierten Energieverbrauch würden statt der heute 28 Gigatonnen gewaltige 41 Gigatonnen Kohlendioxid pro Jahr in die Luft geblasen. Eine globale Temperaturerhöhung bis um 6 Grad Celsius wäre die Folge. Um die Erderwärmung auf etwa zwei Grad und die durch den Klimawandel verursachten Schäden zu begrenzen, müssen die weltweiten Kohlendioxid-Emissionen zukünftig deutlich sinken.

Die Frage lautet also, wie kann man Strom und Wärme wirtschaftlich, umweltschonend und sicher erzeugen sowie verantwortungsbewusst und effizient nutzen? Deutschland nimmt beim Ausbau der regenerativen Energien weltweit eine Spitzenstellung ein. 17 Prozent unseres Stroms kommen bereits heute aus erneuerbaren Quellen. Um dem Ziel einer nachhaltigen Energieversorgung wesentlich näher zu kommen, wird es jedoch nicht reichen, den derzeitigen Energiemix zu verändern – tatsächlich benötigen wir vollkommen neue technische Ansätze der Energieerzeugung und -wandlung.

Viele Hindernisse sind dabei technologischer Art: So ist die Energie aus Wind- und Sonnenstromanlagen großen Schwankungen unterworfen. Neue Speichertechnologien sind daher gefragt. Ein Projekt, dem sich Forscher in einem neu auszurichtenden Max-Planck-Institut für Energiewandlung und -speicherung widmen sollen. Nur mit neuen leistungsfähigeren Speichertechnologien kann ein unbeschränkter Grundlastbetrieb regenerativer Energien für mobile und stationäre Anwendungen gewährleistet werden.

An gut einem Dutzend unserer Institute wird Fragen zur nachhaltigen Energieerzeugung nachgegangen. Dazu gehören Untersuchungen zu neuen Elektrodenmaterialien für Hochleistungsbatterien, die Suche nach chemischen Verbindungen mit höheren Speicherdichten für Wasserstoff, die Herstellung regenerativer Biokraftstoffe aus Holzabfällen oder Stroh, die nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion stehen, die Mineralisation von Biomasse zu Kohle-Vorstufen, also die Erzeugung sogenannter „Grüner Kohle“, in der das CO2 gebunden und so die Kohlenstoffbilanz unserer Atmosphäre verbessert werden kann oder die Entwicklung von Photovoltaikanlagen auf Basis neuer Polymere. Diese versprechen nicht nur kosteneffizientere und flexiblere Lösungen, damit wären auch Beschichtungen denkbar, die man nur auf einen Untergrund aufzusprühen braucht, um Strom aus Sonnenlicht zu erzeugen.

In einer Forschungskooperation mit Fraunhofer wird an der Entwicklung von Systemen zur Erzeugung von Wasserstoff aus Biomasse geforscht – sozusagen Strom vom Acker in die Steckdose. Darüber hinaus forschen wir intensiv an der Kernfusion, aber auch an der Frage, ob sich die Fotosynthese in Pflanzen mit einfachen technischen Systemen nachahmen lässt. Hierbei handelt es sich in weiten Teilen um reine Grundlagenforschung, von einer technischen Umsetzung sind wir noch weit entfernt.

Anders als uns Politiker und Industrievertreter oft Glauben machen wollen, fehlen uns bis heute aber auch grundlegende Kenntnisse, um Technologien basierend auf Prototypen und Kleinanlagen in einen Maßstab zu überführen, so dass sie tatsächlich die Gesamtleistung ganzer Kraftwerke erreichen. Gerade die grundlagenorientierte Energieforschung kann neue und überraschende Perspektiven eröffnen und uns von fossilen Brennstoffen unabhängiger machen.

Eine zielbewusste Grundlagenforschung ist daher das Gebot der Stunde, um den aktuellen Herausforderungen so zu begegnen, dass eine Auswahl von nachhaltigen und sich ergänzenden Lösungen gefunden wird. „Neue Techniken und Investitionschancen in kohlendioxidarme und erneuerbare Energien werden in den kommenden Jahrzehnten die wichtigsten Triebfedern für nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum sein“, schreibt Nicholas Stern, in seinem Buch „Der Global Deal“. Der ehemalige Chefökonom der Weltbank plädiert deshalb zu Recht für mehr öffentliche Technologie- und Forschungsförderung.

Die Energieversorgung ist eine langfristige Aufgabe von strategischer Bedeutung für unsere Gesellschaft. Für Forschung, Entwicklung und industrielle Umsetzung der Energiewende werden wir vier, fünf Jahrzehnte benötigen – eine Generationenaufgabe! Und das muss auch gesagt werden. Globale und nationale Energiesysteme sind träge, Veränderungen der Versorgungs- und Verbrauchsstruktur benötigen lange Zeiträume. Ich möchte das an einem Beispiel erläutern: Wenn Wasserstoff zukünftig eine wirklich bedeutende Rolle als Energieträger spielen soll, sind Speichermaterialien dafür erforderlich. Solche Speichermaterialien sind aber nur dann nützlich, wenn Fahrzeuge mit entsprechenden Antrieben im Praxisbetrieb eingesetzt werden. Außerdem müssen nachhaltige Verfahren für die effiziente Herstellung von Wasserstoff verfügbar sein, und es muss eine Verteilungsinfrastruktur aufgebaut werden.

Ähnliche Überlegungen gelten für viele andere Energietechnologien und ihre einzelnen Komponenten. Insofern bedarf es eines entschlossenen Impulses, um die Wandlung in Angriff zu nehmen, auch von Seiten der Industrie. Grundlagenforschung benötigt immer einen Partner, der das Ganze in die Anwendung treibt. Viele Entdeckungen bleiben bislang ungenutzt. Zu oft scheut die Industrie das Risiko, den hohen Kapitalbedarf und den langen Investitionsvorlauf.

Wir stehen an der Schwelle einer globalen technologischen Revolution verbunden mit tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandlungen. Dabei genügt es nicht, die drängenden Fragen allein aus technologischer Sicht zu betrachten. Die notwendigen Maßnahmen für den Umbau zu einer nachhaltigen Energieversorgung brauchen die Zustimmung der Bevölkerung. Bei Entscheidungen über unsere Energieversorgung müssen daher auch Erkenntnisse aus den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften berücksichtigt werden.

Der durch die jetzigen Ereignisse ausgelöste Veränderungswille war schon lange nicht mehr so groß. Wir sollten die Chance, die Organisation unserer Energieversorgung auf eine grundlegend neue Basis zu stellen, nicht ungenutzt verstreichen lassen – aber wir sollten uns auch klar machen, dass es dafür eines langen Atems und einer entsprechenden Standfestigkeit seitens der Politik bedarf. Wir müssen heute in die Technologien von morgen investieren, damit wir nicht mit der Technologie von gestern unsere Zukunftschancen verspielen.

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