Bakterien vergiften sich von innen heraus

Neue Antibiotika könnten einen bakteriellen Selbstmord-Mechanismus nutzen

22. März 2011

Die Arbeitsgruppe um Anton Meinhart vom Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg konnte nachweisen, dass Proteine aus der Gruppe der Zeta-Toxine einen Mechanismus auslösen, in dessen Verlauf sich Bakterien selbst zerstören. Auslöser dieses bakteriellen Selbstmords sind Toxin-Antitoxin-Systeme (TA-System), die eine wichtige Rolle bei der Vererbung von Resistenz- und Virulenz-Genen spielen. Den Forschern ist es damit gelungen, ein wichtiges Puzzlestück für die Entwicklung neuer Breitband-Antibiotika hinzu zu fügen.

Bereits wenige Gene können aus harmlosen Bakterien gefährliche Killer machen. Gene für krankmachende Eigenschaften oder Antibiotika-Resistenz können mit Hilfe so genannter mobiler genetischer Elemente von Bakterium zu Bakterium übertragen werden. Diese Elemente tragen jedoch oft auch Gene für Toxine sowie die entsprechenden Antitoxine. „Die mobilen genetischen Elemente sind also für die Bakterien Segen und Fluch zugleich: Sie helfen ihnen zu überleben, können sie aber auch töten“, sagt Anton Meinhart vom Heidelberger Max-Planck-Institut.

PezAT („Pneumokokkales Epsilon/Zeta Toxin-Antitoxin System“) ist ein besonders interessantes Toxin-Antitoxin-System des Erregers Streptococcus pneumoniae. Diese, auch Pneumokokken genannten Bakterien verursachen schwere Infektionen, wie Lungenentzündungen, Blutvergiftungen oder Hirnhautentzündungen. Die Toxin-Komponente PezT gehört hierbei zur Familie der sogenannten Zeta-Toxine, die auch in vielen anderen Krankheitserregern resistenzvermittelnde mobile genetische Elemente stabilisieren. Doch obwohl die Zeta-Toxin Familie schon vor fast 20 Jahren entdeckt wurde, war ihr tödlicher Mechanismus bis zuletzt ein Mysterium. Dabei schienen diese Toxine einen sehr ursprünglichen zellulären Prozess anzugreifen, denn die rätselhafte Aktivität von Zeta-Toxinen kann neben Bakterien auch Hefepilze und sogar Krebszellen absterben lassen.

Den Max-Planck-Wissenschaftlern ist es nun gelungen, die molekulare Wirkungsweise von Zeta-Toxinen an dem Modellbakterium Escherichia coli aufzuklären. Dabei stellte sich heraus, dass die bakteriellen Zellen nach künstlicher Aktivierung von PezT ähnliche Vergiftungserscheinungen zeigen, wie nach einer Behandlung mit dem bekannten Antibiotikum Penicillin: Zu Beginn der PezT-Vergiftung bleiben die meisten Zellen zunächst mitten in der Teilungsphase stecken. Nach einiger Zeit platzt dann die Nahtstelle zwischen den beiden Zellkörpern auf und die Zellen sterben.

Nach weitergehenden Untersuchungen stellte sich heraus, dass PezT- und andere Zeta-Toxine neuartige Enzyme sind, die den essenziellen Zuckerbaustein UNAG (UDP-N-Acetylglucosamin) in ein giftiges Molekül verwandeln. Dieses Gift (UNAG-3P) verhindert nun, ganz ähnlich wie Penicillin, den Aufbau der bakteriellen Zellwand. Dadurch platzen die Zellen und sterben. Diesen zellinternen Prozess zu aktivieren, könnte die Antibiotika-Forschung einen entscheidenden Schritt im Kampf gegen Resistenzen weiterbringen.

Die Zeta-Toxine sind die ersten bekannten Enzyme, die Bakterien von innen heraus durch die Produktion eines „Suizid-Antibiotikums“ vergiften. Da der Baustein UNAG in allen bekannten Bakterien universell für den Aufbau der Zellwand ist, lässt sich nun die breite Wirksamkeit von Zeta-Toxinen bzw. UNAG-3P erklären. Dies macht auch die bisher unentdeckte Substanz UNAG-3P zu einem wertvollen Grundstoff für die Entwicklung neuartiger Breitband-Antibiotika. Als nächstes wollen die Forscher deshalb klären, ob UNAG-3P als ein neues, wirksames Antibiotikum eingesetzt werden kann.

Außerdem konnten die Wissenschaftler mit ihrer Entdeckung ein bislang paradoxes Phänomen erklären:  Das eigentlich tödliche Protein, das pneumokokkale Zeta-Toxin PezT, fördert nämlich die Infektionsrate der Pneumokokken. Der Grund dafür ist wahrscheinlich, dass eine Aktivierung von PezT  zum Platzen des Bakteriums führt und innere Bestandteile freisetzt. Dadurch gelangt auch eines der wichtigsten Gifte der Pneumokokken, das Pneumolysin, nach außen und ruft dort schwere Entzündungsreaktionen hervor.  Auf diese Weise scheinen sich einzelne Pneumokokken während des Kampfs mit dem Immunsystem für die Gesamtpopulation zu opfern.

AM/HR

Hintergrund

Das Toxin-Antitoxin-System

Die meisten Bakterien, die unsere Umwelt besiedeln, stellen für uns Menschen keinerlei Bedrohung dar. Eine geringe Zahl zusätzlicher bakterieller Gene reicht jedoch aus, um einen harmlosen Einzeller in einen gefährlichen, Antibiotika-resistenten Krankheitserreger zu verwandeln. Die Mehrheit dieser „Virulenzfaktoren“ wird durch so genannte mobile genetische Elemente (MGE) von Bakterium zu Bakterium übertragen. Dieser Austausch von Genen kann selbst zwischen entwicklungsgeschichtlich sehr weit entfernten Arten stattfinden und ist einer der Hauptgründe für die rasante Entstehung neuer multiresistenter Keime.

Für diese neugewonnen Vorteile gehen die Bakterien jedoch meist einen Pakt mit dem Teufel ein. Denn da die MGE von instabiler Natur sind und ständig Gefahr laufen, beispielsweise während der Zellteilung aus dem bakteriellen Genom entfernt zu werden, beherbergen sie neben den Virulenz- und Resistenzgenen auch Toxin-Antitoxin-Systeme. Diese kleinen DNA-Abschnitte bestehen aus nur zwei Genen, die eine fatale Abhängigkeit erzeugen: Einmal Teil des bakteriellen Erbguts, beginnt das Bakterium die beiden Genprodukte des TA-Systems herzustellen.

Dabei entsteht einerseits ein stark toxisches Protein („Toxin“), welches die Zelle von innen zu vergiften droht, andererseits aber auch ein „Antitoxin“, welches das Toxin durch Bindung neutralisiert. Durch die Anwesenheit des Antitoxins kann ein Bakterium nach Aufnahme eines Toxin-/Antitoxin-Systems daher zunächst scheinbar unbehelligt weiterexistieren. Perfiderweise werden die Antitoxin-Moleküle jedoch schneller von zellulären Abbaumechanismen zerstört als das Toxin. Dadurch ist die Zelle auf eine ständige Neusynthese des Gegengifts angewiesen, um der Vergiftung durch die Toxine zu entgehen. Verliert nun eine Zelle das mobile genetische Element mit dem Toxin-/Antitoxin-System, wird die Produktion des Antitoxins unterbunden. Dadurch wird das Toxin freigesetzt und es kommt zum „programmierten“ Zelltod des Bakteriums. Übrig bleiben nur die Zellen, die mobile genetische Elemente mit dem Toxin-/Antitoxin-System besitzen.

Durch diesen Selektionsmechanismus können die mobilen genetischen Elemente verhindern, dass sie aus dem Erbgut verschwinden, auch wenn die Bakterien nicht durch ein Antibiotikum bedroht werden. Auch in Abwesenheit eines entsprechenden Selektionsdrucks bleiben sie – und damit auch etwaige Resistenz-Gene – erhalten, obwohl sie für die Zellen eine potenzielle Gefahr darstellen. Toxin-/Antitoxin-Systeme haben folglich einerseits das Potenzial, Bakterien abzutöten, andererseits können sie aber auch für die Stabilisierung von Resistenzen verantwortlich sein – Grund genug für die Antibiotika-Forschung, sie in den Fokus weiterer Untersuchungen zu rücken.

In letzter Zeit mehren sich auch Hinweise darauf, dass Toxin-/Antitoxin-Systeme noch einen weiteren Vorteil bringen und im Laufe der bakteriellen Evolution weitere Funktionen übernommen haben. Droht einer bakteriellen Population beispielsweise der Hungertod, scheinen manche TA Systeme den "altruistischen" Tod einer Subpopulation zu bewirken, um durch die Freisetzung ihrer Nährstoffe das Überleben der bakteriellen Gesamtpopulation zu gewährleisten.

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