Gehirn verändert neuronale Netzwerke im Schlaf

Max-Planck-Forscher entschlüsseln, warum wir beim Einschlafen unser Bewusstsein verlieren

22. Februar 2011

Eben noch wach und bei vollem Bewusstsein und Sekunden später sind wir eingeschlafen. Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München haben in einer Studie an 25 jungen gesunden Probanden untersucht, wie diese Änderungen der Wahrnehmung ausgelöst werden. Die Forscher untersuchten die Aktivität von Nervenzell-Netzwerken, die Gehirnregionen miteinander verbinden, wenn wir wach, aber in Ruhe sind. Die Messungen beim Übergang in die verschiedenen Schlafphasen zeigten, dass diese Netzwerke im Schlaf systematisch umorganisiert werden. So wird der Hippokampus, eine für Gedächtnisprozesse wichtige Region, bereits im leichten Schlaf aus dem Netzwerk ausgekoppelt. Der Frontallappen, wichtig für höhere Steuerungsprozesse, wird mit zunehmender Schlaftiefe sogar ganz aus dem Netzwerk ausgeschlossen. Hingegen nehmen Ver­bindungen zum neuronalen Auf­merk­sam­keitsnetzwerk nur teilweise ab – möglicher­weise, um auf alarmierende Außenreize noch reagieren zu können. Diese Netzwerkänderungen in Hirnregionen, die mit selbstreflektorischem Verhalten, planendem Handeln und Selbstwahrnehmung assoziiert sind, könnten die Ursache für unseren Bewusstseinsverlust im Schlaf sein.

Äußerlich betrachtet ist der Schlaf für den Menschen ein passiver Vorgang. Doch für das Gehirn und den ganzen Organismus ist es lediglich ein Zustand mit veränderter Aktivität. Denn das Gehirn ist im Schlaf zwar weniger aktiv, stellt seine Aktivität jedoch nicht völlig ein. Aktive Nervenzellen stehen dabei organisatorisch in verschiedenen Netzwerken miteinander in Verbindung. Wissenschaftler können diese Netzwerke anhand langsamer (<0.1 Hz), spontan auftretender Signalschwankungen mit Hilfe der funktionellen Magnet­re­so­nanz­tomografie nachweisen.

Von den zahlreichen gleichzeitig aktiven Ruhenetzwerken des menschlichen Gehirns untersuchten die Max-Planck-Forscher das so genannte „Default Mode Netzwerk“ und ein im spontanen Zeitverlauf gegenläufiges Netzwerk. Beide Netzwerke sind im Wachzustand eng aneinandergekoppelt und stehen für verschiedene Aufmerksamkeitsprozesse. Das „Default Mode Netzwerk“ unterstützt eher nach innen gerichtete Aufmerksamkeitsvorgänge, das gegenläufige Netzwerk eher die Ver­arbeitung von Außenreizen. Ohne zusätzliche Stimulation verhalten sie sich zeitlich gegenläufig – hohe Messsignale des einen Netzwerks treten meist während niedriger Signale des anderen Netzwerkes auf, und umgekehrt.

Die Münchner Wissenschaftler entdeckten, dass sich beide Netzwerke während des Einschlafprozesses selbst verändern und auch unterschiedlich miteinander interagierten. Das „Default Mode Netzwerk“ verliert je nach Schlafstadium einen Teil seiner anatomischen Verknüpfungen. Vor allem Teile der Hippokampus­-Formation lösen sich bereits im leichten Schlaf aus dem Netzwerk. Der präfrontale Kortex besitzt mit zu­nehmender Schlaftiefe ebenfalls weniger Verbindungen zum Netzwerk. Reduziert, jedoch bis in den Tief­schlaf nachweisbar, zeigten sich auch Areale im posterioren Cingulum und im Precuneus, einem Teil des parietalen Kortex. Diese Hirn­regionen zählen zu den am dichtesten verknüpften Arealen im Gehirn. Sie stehen in Zu­sammenhang mit Wachheit und Bewusstsein, und können beispielsweise durch Medikamente in ihrer Aktivität beeinflusst werden. Die geringere Aktivität im „Default Mode Netzwerk“ während des Schlafes erklärt, warum wir im Schlaf zu keiner bewussten Wahrnehmung fähig sind.

Das Gegen-Netz­werk wiederum wird ab Schlafstadium 2 von seiner streng gegenläufigen Aktivität entkoppelt, bleibt jedoch über alle Schlafphasen vorhanden – ein wichtiger Hinweis darauf, dass vermutlich erst eine aus­­reichende Synchronisierung zwischen verschiedenen Netz­werken komplexere Funktionen ermöglicht. So kann das Gehirn einfache Weckreize immer noch verarbeiten.

BM/HR

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