Nervenzellen bündeln ihre Synapsen

Die Kontaktstellen von Zellen der Großhirnrinde bilden funktionale Gruppen

Die Großhirnrinde ähnelt einer riesigen Telefonzentrale. Über unzählige Leitungen werden hier zum Beispiel aus den Signalen der Sinnesorganen Informationen über die Umwelt gewonnen. Um die Datenflut in sinnvolle Bahnen zu lenken, agieren die einzelnen Pyramidenzellen der Großhirnrinde wie winzige Telefonistinnen. Jede empfängt Informationen aus mehreren tausend Leitungen. Ergeben die Signale einen Sinn, wird die Leitung freigeschaltet und eine Information weitergegeben. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie in Martinsried konnten nun erstmals zeigen, dass die Kontaktstellen zwischen bestimmten Typen von Nervenzellen teilweise gebündelt auf der Zielzelle vorkommen. Wahrscheinlich können Signale so aufeinander abgestimmt und dadurch "überzeugender" werden.

Die Zellen der Großhirnrinde haben viel zu tun. Je nachdem in welchem Areal sie liegen, verarbeiten sie die unterschiedlichsten Informationen. So kommen beispielsweise die Signale von der Netzhaut in der Sehrinde an, wo daraus unter anderem die Bewegung von Objekten erkannt wird. Die Pyramidenzellen der Großhirnrinde empfangen die Informationen von anderen Zellen über tausende Kontaktstellen, den Synapsen. Je nachdem wo, wie viele und wie häufig Synapsen aktiv werden, gibt die Zelle ein Signal weiter – oder auch nicht.

Weitergeleitete Informationen haben die Form elektrischer Signale. Diese können Wissenschaftler an verschiedenen Stellen der Nervenzelle messen. „Das Spannende ist, dass das Signal, das die Zelle von, sagen wir mal zehn, gemeinsam aktiven Synapsen erhält, größer sein kann, als die Summe der einzelnen Signale jeder der zehn Synapsen“, fasst Volker Scheuss die Grundlage seiner gerade publizierten Studie zusammen. „Bisher war jedoch unklar, ob dieses Phänomen durch eine spezielle Anordnung der Synapsen auf den Pyramidenzellen zu erklären ist.“

Kalzium-Einstrom verrät aktive Nervenzellen

Durch die Kombination modernster Methoden sind die Neurobiologen aus der Abteilung von Tobias Bonhoeffer der Synapsenanordnung nun auf den Grund gegangen. So haben die Forscher mit Hilfe der Optogenetik Pyramidenzellen eines bestimmten Typs in Hirnschnitten der Maus gezielt aktiviert und mittels Kalzium-sensitiver Farbstoffe unter einem Zwei-Photonen-Mikroskop die Aktivität der einzelnen Synapsen aufgezeichnet. Auf diese Weise konnten die Wissenschaftler erstmals zeigen, wo und in welchem Verhältnis zueinander die Synapsen angeordnet sind.

Die durchgeführten Synapsenkartierung mit Hilfe eines neu entwickelten Algorithmus waren eindeutig: Die Synapsen der Pyramidenzellen bildeten Gruppen aus vier bis 14 Synapsen, verteilt auf jeweils weniger als 30 Mikrometern. „Die Existenz dieser Gruppen legt nahe, dass die Synapsen sich gegenseitig beeinflussen und so die Stärke des Gesamtsignals steuern können“, erklärt Onur Gökçe, der Erstautor der Studie. Dies ist die erste anatomische Grundlage für die aus Aktivitätsmessungen bekannte überproportionale Stärke gebündelter Synapsensignale im Vergleich zu den einzelnen Signalen. Zudem ist die Beobachtung gerade für die untersuchten Schicht-5-Pyramidenzellen von besonderem Interesse, da die Aktivität dieser Zellen synchron oszilliert. „Diese rhythmische Aktivität, die wahrscheinlich die Verarbeitung visueller Informationen beeinflusst, könnte die gefundenen Synapsengruppen synchron aktivieren und so zur Verstärkung des empfangenen Gesamtsignals führen“, so Scheuss.

SM/HR

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